Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)
zu. Einige Pfund zu viel. Sie litt an Verstopfung und war ständig müde. Die Ärzte verordneten ihr eine mittlere Dosis.
»Heute weiß ich, dass mein Organismus einfach herunterfährt, wenn ich zu wenig Hormone einnehme. Ich werde so träge, dass ich nicht einmal einen halben Tag durchhalte. Das war ein jämmerlicher Zustand, und ich habe Mitleid mit allen, die aus diesem Zustand nicht herauskommen.
Die Stabilisierung meines Hormonstatus war einer der schwierigeren Aspekte des ganzen Prozesses, weil die Schilddrüse den Stoffwechsel reguliert.«
Seither interessiert sich Michelle für die Gesundheitsfürsorge. »Da ich jetzt eine ›Vorerkrankung‹ habe, frage ich mich, ob ich noch eine Krankenversicherung finde, die mich nimmt. Ich war eben bei einem Treffen mit Präsident Obama im Rathaus. Es ging um die Gesundheitsreform. Als er über Vorerkrankungen sprach und über Versicherungen, die Antragssteller deswegen ablehnen, wurde mir meine Situation bewusst. Ich bin neugierig, was aus dieser Gesundheitsreform wird.«
Sie las mehr über Schilddrüsenkrebs und war überrascht, als sie erfuhr, dass viele Menschen daran erkranken, aber nicht daran sterben. Besonders erstaunt war sie darüber, dass sich die Zahl der Menschen, die an Schilddrüsenkrebs sterben, trotz aller zusätzlich entdeckten Schilddrüsenkarzinome nicht verändert.
Obwohl ihre Ohrenschmerzen längst verschwunden sind, leidet sie immer noch an den Nebenwirkungen der Behandlung. Sie fragt sich, ob es richtig war, dem Rat des Arztes zu folgen. Hat sie das alles unnötig durchgemacht? Sollte sie jetzt zu einem Anwalt gehen anstatt zu einem Arzt?
Das hört sich anders an, nicht wahr?
Der häufige, aber falsche quantitative Vergleich
Zahlen haben die Eigenart, dass sie Behauptungen glaubhafter machen. Ich denke, dass manche Leute deswegen den Ausdruck harte Zahlen verwenden. Doch selbst harte Zahlen können irreführend sein. Nehmen wir an, Sie wollen herausfinden, welchen Wert eine Mammografie bei älteren Frauen hat. Sie stoßen auf eine Pressemeldung mit dem Titel »Mammografie kann für alle Frauen nützlich sein, unabhängig vom Alter«. 4 In dem Artikel finden Sie folgende Überlebensstatistik:
Von den Brustkrebspatientinnen, die achtzig Jahre alt oder älter waren und auf eine Mammografie verzichtet hatten, lebten nach fünf Jahren noch 82 Prozent. Von den Frauen, die sich einer Mammografie unterzogen hatten, lebten nach fünf Jahren noch 94 Prozent.
Wenn die Zahlen stimmen (das ist wahrscheinlich der Fall), sind sie anscheinend ein starkes Argument für den Wert der Mammografie bei älteren Frauen. Nur 82 Prozent der älteren Brustkrebspatientinnen überleben ohne Mammografie die nächsten fünf Jahre. Bei den Frauen, die sich einer Mammografie unterzogen haben, sind es hingegen 94 Prozent. Das sieht eindeutig aus: Mammografie ist sinnvoll. Aber – was für eine Überraschung! – diese Zahlen sagen gar nichts über den Wert der Mammografie bei älteren Frauen.
Die Meldung ist nichts weiter als die numerische Version der allgemeinen Aussage, dass manche Patientinnen nach einer Früherkennung eine gute Prognose haben. Aber wenn die Zahlen so überzeugend sind, ist es noch schwieriger zu erkennen, dass diese günstigen Prognosen möglicherweise weniger über den Wert einer frühen Diagnose aussagen als über den natürlichen Verlauf der neu entdeckten Krankheit.
Das Grundproblem besteht darin, dass die Zahlen, die so oft in Nachrichten wie der oben zitierten zu lesen sind, nicht aus randomisierten Studien stammen. Stattdessen vergleichen sie Menschen, die zur Vorsorgeuntersuchung gehen, mit Menschen, die das nicht tun, und diese Gruppen können sich in vielen wichtigen Aspekten unterscheiden, nicht nur hinsichtlich ihrer Teilnahme an der Mammografie. Menschen, die sich für ein Screening entscheiden, sind in der Regel gebildeter, wohlhabender und gesundheitsbewusster (zum Beispiel ist die Zahl derer, die Sport treiben, und die Zahl der Nichtraucher in dieser Gruppe höher). Solche Vergleiche sind also bequem, aber falsch. Den Menschen, die am Screening teilnehmen, geht es deshalb besser als anderen, weil sie von Anfang an gesünder sind, nicht weil sie untersucht wurden. (Beachten Sie, dass es hier um viel mehr geht als um »gesundheitsbewusstes Leben«; es geht auch um das Einkommen und andere sozioökonomische Faktoren, die Einfluss auf die Gesundheit haben.)
Doch selbst wenn diese zwei Gruppen in jeder Hinsicht vergleichbar wären
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