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Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)

Titel: Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. Gilbert Welch , Lisa M. Schwartz , Steven Woloshin
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und zur ergiebigsten Quelle für Überdiagnosen werden. Die Wahrscheinlichkeit ist sehr hoch, dass die Wissenschaftler all jene Gene bereits entdeckt haben, die eindeutig zum Ausbruch einer Krankheit führen, zum Beispiel die Gene für Mukoviszidose und für die Huntington-Krankheit. Und wahrscheinlich haben sie fast alle Gene entdeckt, die Krankheiten zwar nicht mit Sicherheit auslösen, aber ihre Wahrscheinlichkeit stark erhöhen – zum Beispiel die BRCA-Gene. Jetzt suchen die Forscher vor allem Genvarianten mit viel geringeren Wirkungen, die das Risiko für Krebs, Herzkrankheiten, Diabetes, altersbedingte Makuladegeneration und andere Krankheiten ein wenig erhöhen oder senken. Aber nicht immer ist klar, was wir eigentlich vorhersagen. Und noch weniger klar ist, was wir mit den Vorhersagen anfangen sollen.
    Natürlich hängen die Folgen all dieser Überdiagnosen unmittelbar davon ab, wie wir mit den Informationen umgehen. Wenn wir niemandem etwas sagen würden, würde niemand etwas anders machen, und es gäbe kein Problem. Dann aber wäre der Test sinnlos. Vielleicht könnten wir sämtliche kleinen Risikoveränderungen ignorieren und nur über die wenigen wirklich großen sprechen. Dann könnten die Forscher sich damit befassen, welche Maßnahmen den Menschen mit dem höchsten Risiko wirklich helfen.
    Das wäre zwar das beste Szenario, aber ich fürchte, es wird nie eintreten. Das Problem ist, dass es uns sehr schwerfällt, Informationen zu ignorieren. Wenn Sie erst einmal wissen, dass mit Ihrer Gesundheit etwas nicht stimmt, stehen Sie unter großem Druck, etwas zu unternehmen. Und wenn nicht klar ist, was Sie tun sollen, können Sie darauf wetten, dass diese Informationen zu einer Serie von willkürlichen Maßnahmen mit unbekannten Vorteilen und unerwarteten Nachteilen führen werden. Ganz zu schweigen davon, dass die Informationen vielen Menschen Angst einjagen.
    Aber wird die Gesellschaft wirklich gesünder, wenn wir Gesunde über ihre Krankheitsrisiken informieren? Ist es gesund, wenn junge Menschen sich Jahre vor ihrem Tod intensiv mit ihrer wahrscheinlichen Todesursache beschäftigen? Übrigens müssen wir mit Gentests nicht warten, bis wir zwanzig sind; wir könnten damit – wie mit den Cholesterintests – schon bei Kindern oder sogar bei Ungeborenen beginnen. Nichts kann uns daran hindern, Informationen über das Sterberisiko eines Menschen zu sammeln, noch ehe er geboren wird. 19 Die Ironie dieser Geschichte aber ist, dass die gesündesten Bevölkerungsgruppen möglicherweise diejenigen sind, die nichts über ihre DNS wissen.

Kapitel 10
Die Faktenlage
    Viele Aussagen zu Vorsorgeuntersuchungen sind lediglich Variationen desselben Themas – alle werben auf die eine oder andere Weise dafür, intensiv nach Anomalien zu suchen, weil dies der beste Weg sei, gesund zu bleiben. Manchmal werden solche Behauptungen in bester Absicht aufgestellt. Patientenschutzgruppen und einige Ärzte raten den Menschen, sich untersuchen zu lassen, weil sie das für richtig halten. Andere vertreten eher eigene Interessen: Unternehmen, die medizinische Versorgung anbieten, Krankenhäuser und manche Ärzte raten den Menschen, sich vorsorglich untersuchen zu lassen, weil sie daran verdienen. Unabhängig von den Beweggründen sollten Sie wissen, ob diese Behauptungen von harten Fakten gestützt werden.
    Fangen wir mit der unbequemen Wahrheit an: Allzu oft sind keine harten Fakten zu finden. Das hat seinen Grund. Die meisten Gesunden bekommen die Krankheit, die wir früh diagnostizieren wollen, spät oder nie. Um zuverlässige Informationen über den Wert der Früherkennung bei den wenigen Menschen zu sammeln, die erkranken werden, müssen wir also lange Zeit viele Gesunde beobachten. Und eine große Langzeitstudie ist sehr teuer. Das lässt sich an einem Beispiel eindrucksvoll belegen: Eine typische randomisierte Mammografiestudie, an der rund 50 000 Frauen über zehn Jahre hinweg teilnahmen, kostete einen zweistelligen Millionenbetrag. Dass es nur wenige solcher Studien gibt, ist daher kaum überraschend, obwohl wir sie brauchen. Die Millionen, die wir zahlen würden, um den Wert früher Diagnosen zu ermitteln, verblassen jedoch im Lichte der Milliarden, die wir für Vorsorgeuntersuchungen ausgeben, ohne zu wissen, ob sie etwas nützen.
    Da es nur wenige harte Fakten gibt, sollten Sie also wissen, wann man Ihnen einreden will, dass wir über hinreichende Informationen verfügen. Viele Aussagen zur Früherkennung – Werbung,

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