Die Diagnosefalle: Wie Gesunde zu Kranken erklärt werden (German Edition)
Haut-, Blasen-, Nieren-, Pankreas-, Eierstock-, Hoden- und Schilddrüsenkrebs.
Übertriebene Ergebnisse durchschauen
Angenommen, Sie haben eine randomisierte Studie gefunden, die untersucht, ob ein Screening auf Bauchaortenaneurysmen sinnvoll ist. Die Teilnehmer wurden vor der Diagnose nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. Die Medien könnten das Ergebnis ungefähr so beschreiben: »Screening auf Bauchaortenaneurysmen senkt Zahl der Todesfälle durch Aortenriss um 44 Prozent.« Genügt Ihnen das, um den Wert des Screenings einzuschätzen? In der Schlagzeile geht es um das relative Risiko, wie so oft in den Medien. Ein Rückgang um 44 Prozent hört sich gut an. Aber wenn Sie die absoluten Risiken kennen – danach sank die Sterberate von 3,4 pro 1000 auf 1,9 pro 1000 innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren –, können Sie das Resultat besser beurteilen. Einerlei, was ein Individuum tut oder nicht tut, die Chance, dass ein Aneurysma nicht reißt, ist höher als 996 pro 1000. aber das können Sie unmöglich wissen, wenn Sie die Zahlen für das absolute Risiko nicht kennen.
Relative Risiken sagen Ihnen sehr wenig. Ein relatives Risiko, zum Beispiel ein halbiertes Risiko, ist mit unendlich vielen absoluten Risiko-Paaren vergleichbar (von 500 auf 250 pro 1000; von 100 auf 50 pro 1000; von 20 auf 10 pro 1000; von 4 auf 2 pro 1000; von 0,1 auf 0,05 pro 1000 und so weiter). Die Grundidee ist ziemlich einfach: Wenn die Sterblichkeit an einer häufigen Krankheit um 44 Prozent sinkt, ist das wichtiger, als wenn die Sterblichkeit an einer seltenen Krankheit um 44 Prozent sinkt. Das relative Risiko verbirgt diese Tatsache. Dennoch ist in den Medien viel häufiger von relativen Risiken als von absoluten Risiken die Rede. Der Hauptgrund dafür ist meiner Meinung nach, dass relative Veränderungen meist dramatischer aussehen als absolute. 7 Das gilt vor allem dann, wenn das Risiko, um das es geht, sehr klein ist. Was hört sich eindrucksvoller an: ein um 44 Prozent reduziertes Risiko oder eine Sterberate, die von 3,4 pro 1000 auf 1,9 pro 1000 sinkt? Um Menschen für die Früherkennung zu gewinnen, sind relative Risiken viel effektiver als absolute.
Prüfen Sie beide Seiten der Medaille
Es genügt nicht zu wissen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Früherkennung Ihnen nützt. Sie müssen auch wissen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie Ihnen nichts nützt, dass Sie sich unnötig Sorgen machen, dass Sie das Opfer einer Überdiagnose und unnötig behandelt werden oder dass die Therapie Ihnen schadet. Eine gute randomisierte Studie kann Ihnen alle Informationen liefern, die Sie brauchen, um das Gesamtbild zu sehen (obwohl es nicht immer einfach ist, alle Informationen in einer einzigen Studie zu finden).
Um Ihnen zu zeigen, was ich meine, möchte ich zu dem Screening-Test zurückkehren, der am besten analysiert wurde: zur Mammografie. Im Rahmen von zehn randomisierten Studien wurden weltweit über eine halbe Million Frauen untersucht. Die Ergebnisse sind nicht einheitlich, aber man ist sich darüber einig, dass die Mammografie nützlich ist. Wenn wir die Daten aller Studien kombinieren, lautet die beste Schätzung: Die Mammografie verringert die Sterblichkeit an Brustkrebs um etwa 20 Prozent. 8 Das ist eine Aussage über das relative Risiko. Und dies ist das derzeitige absolute Risiko einer durchschnittlichen fünfzigjährigen Frau: Ohne Mammografie sterben innerhalb von zehn Jahren 5 von 1000 Frauen, mit Mammografie etwa 4 von 1000. Das bedeutet, dass sich rund 1000 Frauen zehn Jahre lang untersuchen lassen müssen, damit eine davon profitiert. 9
Es ist einfach, sich auf die eine Frau zu konzentrieren, der geholfen wird. Aber was ist mit den anderen 999? Sie werden geröntgt, ohne einen Nutzen davon zu haben. Auf jede Frau, die profitiert, kommen mindestens zwei, die Opfer einer Überdiagnose und einer unnötigen Behandlung werden. Manche Wissenschaftler gehen sogar von bis zu zehn solchen Opfern aus. 10 Zudem wird der Brustkrebs bei einigen Frauen, etwa bei 5 bis 15 pro 1000, durch die Mammografie in jüngeren Jahren entdeckt, ohne dass die Prognose sich ändert (wer einen tödlichen Krebs hat, stirbt; den anderen würde es bei einer späteren Diagnose genau so gut gehen) – sie leben also nur länger mit dem Wissen, dass sie Krebs haben. Und viele Frauen, 250 bis 500 pro 1000, bekommen falschen Alarm – ein Mammogramm deutet auf Krebs hin, aber die Vermutung erweist sich (durch ein zweites
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