Die Dichterin von Aquitanien
heftig und sie spürte Schweiß auf ihren Händen.
Denis Piramus ist nur ein unreifer, von sich eingenommener Knabe, sagte sie sich. Aber er hatte gehört, dass sie mit Jean in dem offenbar wohlbekannten Raum gewesen war.
Sie vergrub ihr Gesicht in den Händen, als ihr klar wurde, dass Jean ebenso wie Régnier mit seiner Eroberung geprahlt haben musste, denn wer sonst hätte ein derartiges Gerücht verbreiten können. So saß sie da, bis sie völlig starr war und beobachtete, wie das Stück Himmel vor ihrem Fenster allmählich in immer dunklerem Grau zu versinken begann, bis schließlich völlige Finsternis die Stunde der Vespera beendete. Ein Dienstbote lief durch die Gänge, um alle säumigen Herrschaften zum Abendmahl zu rufen.
Hawisa war nicht hier, vermutlich traf sie sich mit ihrem Liebhaber. Marie stand langsam auf und legte den silbernen Reif auf ihr Haar. Dann schlüpfte sie in die Schnabelschuhe. Sie durfte im Empfangssaal nicht fehlen, auch wenn sie jetzt lieber allein gewesen wäre.
4. Kapitel
K urz vor Weihnachten setzten die ersten Schneefälle ein, doch fielen sie noch milde aus. Die Königin plante sorgfältig ein prunkvolles Fest, zu dem die meisten ihrer Vasallen geladen waren. Zahllose Kerzen erhellten zur Christmette die bunten Glasfenster der Kirche Notre Dame la Grande, und der Duft von Weihrauch betörte Maries Sinne. Sie versank völlig in den Bildern, die auf den Wänden zu sehen waren, und meinte, der rot gewandeten Christusmutter über dem Chor entgegenzuschweben. Nach der Messe zog der Hofstaat wieder über den Marktplatz ins Palastgebäude. Unterwegs wurden Almosen in die Hände der Umstehenden verteilt, und Hymnengesang erfüllte die kalte Winterluft. Anschließend begann im Empfangssaal ein ausgelassenes Fest, an dem nun alle Palastbewohner teilnehmen durften, auch wenn für die einfachen Leute an den Enden der Tafel keine Tischtücher aufgelegt wurden und die Speisen etwas einfacher ausfielen. Troubadoure wechselten sich mit Gauklern und Tänzern ab, liefen an den Tischen vorbei und beugten sich zu einzelnen Gästen, um sie durch Musik zu rühren oder zum Lachen zu bringen. Allmählich tanzten immer mehr Menschen und verteilten sich im Saal, sodass die Rangordnung sich zunehmend auflöste. Marie sprang neben Emma, Isabelle und den anderen königlichen Damen im Kreis herum. Der Klang der Instrumente riss sie in einen wilden Rhythmus, der sie für eine Weile glücklich,
fast sorglos machte. Einen Moment lang glaubte Marie, in der ausgelassenen Menge Jeans Gesicht zu erkennen, aber die blauen Augen wichen ihr aus. Sie schluckte den kurzen, heftigen Schmerz hinunter, denn sie wusste, dass es so am besten war. Die heimlichen Briefe und Geschenke hatten tatsächlich aufgehört.
Emma erstarrte für einen Moment, als sie zufällig mit Régnier zusammenstieß und er sich mit verlegenem Blick schnell abwandte. Marie ergriff die Hand ihrer Tante, um sie weiter ins Getümmel zu ziehen. Kurz verspürte sie einen dankbaren Druck an ihren Fingern. Nach der Geschichte mit Régnier hatte Emmas Schminke mehrere Wochen lang ein starres, verhärmtes Gesicht bedeckt, doch mit der Zeit war ihre Tante wieder zu der spöttischen, bissigen Dame geworden, die Marie kannte. Sie hatten es beide überstanden.
Das Springen, Singen und Tanzen ging weiter. Sogar Richard, dem derartige Ausgelassenheit fremd schien, mischte sich unter die Feiernden. Marie sah, wie Meir, der Sohn des jüdischen Arztes, seinen Arm um Aliénors Lieblingskind legte, um ihm ein paar hüpfende Tanzschritte zu zeigen. Beide kamen ins Straucheln, wurden von der Menschenmenge aufgefangen und klammerten sich schließlich aneinander, um wieder ihr Gleichgewicht zu finden.
Nach einer Weile verspürte Marie Durst und bahnte sich den Weg an ihren Platz zurück. Die Stühle um die Tafel auf der Tribüne waren weitgehend leer, abgesehen von ein paar Gästen, die bereits betrunken eingenickt waren. Nur die Königin saß weiterhin aufrecht an ihrem Platz, zusammen mit ihrem treuen Gefolgsmann Raoul de Faye. Marie ließ sich neben ihnen nieder und füllte nochmals ihren Weinbecher. Ihr Fuß wippte zur Melodie der Instrumente.
»In drei Wochen schon. In Montmirail!«, hörte sie Aliénor sagen und wandte sich neugierig um. Die Königin schien
jetzt erst ihre Anwesenheit zu bemerken und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln.
»Es gibt wunderbare Nachrichten, Marie!« Ihre Stimme klang unnötig laut und weniger klar in ihrer Aussprache als
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