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Die Dichterin von Aquitanien

Titel: Die Dichterin von Aquitanien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tereza Vanek
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Nachbarin spähte.
    Ein kühler Blick streifte Marie und machte ihr deutlich, wie lästig sie sich verhielt. Nach einem leisen Seufzer beschloss Annais zu gehorchen.
    »Vinco, vincis, vincit …«
    Auf einmal wurde es still.
    »Noch den Plural, dann hast du es geschafft«, sagte Marie aufmunternd. Annais sah so angewidert aus, als wäre sie soeben aufgefordert worden, die Latrinen zu säubern, was in diesem Kloster Bedienstete erledigten.
    »Vinc … vinci ….« Sie blickte ratlos zu ihrer Nachbarin, deren Lippen sich leicht bewegten.
    »Vincimus, vincitis, vincunt«, sprach Marie die geflüsterten Worte laut aus. »Wenn Marianne gestern die Zeit fand, ihre Verben zu lernen, dann hattest du sie auch, Annais.«
    Das Mädchen lief scharlachrot an. Trotz aller Scham lag ein zorniger Zug um die fein geschwungenen Lippen. In ihrer
hochmütigen Schönheit erinnerte Annais Marie nicht selten an Emma.
    »Ich musste Schwester Mathilde helfen, die Pilger herumzuführen«, entgegnete das Mädchen trotzig. »Es ist wichtig für eine Dame, dass sie die Kunst der Gastlichkeit beherrscht, sagt mein Vater immer.«
    Marie unterdrückte einen Seufzer. Es gab immer Dinge, die Annais tun musste, um unangenehmen Aufgaben zu entkommen. Sie hasste es, im Spital auszuhelfen. Den Lateinunterricht mochte sie ebenso wenig, und auch im Kräutergarten von Schwester Ermengard blickte sie nur gelangweilt drein.
    »Hier entscheidet die Äbtissin, was du zu lernen hast«, erklärte sie, immer noch um einen einigermaßen freundlichen Tonfall bemüht. »Du kannst nicht einfach nur tun, wozu du gerade Lust hast. Heute bleibst du bis zur Vesper in der Bibliothek und lernst endlich deine Verben.«
    Die dunkeln Augen der schönen Annais schienen zu glühenden Kohlen zu werden. Sie fuhr auf, stieß gegen den Tisch und brachte ihre Schiefertafel zum Klappern.
    »Ach, zum Teufel mit diesem Latein!«, rief sie. Marie hörte, wie einige ihrer Schülerinnen erschrocken nach Luft schnappten. Mit einem spöttischen Lächeln beugte sie sich vor. Das Beste, was dieser aufgebrachten Schönheit widerfahren konnte, war, nicht ernst genommen zu werden.
    »Der Teufel hat den Apfel der Weisheit bereits Eva gegeben, wie du vielleicht schon gehört hast. Seitdem müssen alle Sterblichen sich Wissen durch mühsame Arbeit erwerben. Auch wir Frauen, die man Evas Töchter nennt.«
    Sie hörte leises Kichern im Hintergrund. Annais verzog nur das Gesicht.
    »Wozu soll ich irgendwelche lateinischen Verben konjugieren?«, zischte sie. »Mein Vater findet bald einen Gemahl
für mich, das hat er mir versprochen. Ich werde nicht in irgendeinem Kloster bei lebendigem Leibe verfaulen.«
    Nun drang empörtes Murmeln, aber auch verhaltenes Lachen an Maries Ohr. Sie staunte, wie ruhig sie blieb. In den ersten Jahren in Edwardstowe hätten solche Worte sie verletzen können, aber diese Zeit war vorbei.
    »Warte ab, welchen Gemahl dein Vater für dich findet«, erwiderte sie. »Und bete zu Gott, dass du dir nicht eines Tages wünschst, im Kloster geblieben zu sein.«
    Annais wollte sogleich zu einer heftigen Antwort ansetzen, doch etwas an Maries Blick ließ sie verstummen. Draußen kündete der Glockenturm die hora tertia an. Es war Zeit für das nächste Gebet.
    »Jetzt geht, Mädchen. Der Unterricht ist beendet«, entließ Marie ihre Schülerinnen. Sie huschten hinaus, nur Marianne blieb zurück. Sie nagte verlegen an ihrer Unterlippe.
    »Ihr seid sehr gütig, Schwester Marie«, begann sie. »Aber Annais spottet deshalb nur über Euch. Ihr solltet sie vielleicht züchtigen, wie es die anderen Schwestern oft tun.«
    Marie fühlte Ärger in sich aufsteigen. Sie hasste Verrat, doch aus Mariannes Gesicht sprach echte Zuneigung für ihre Lehrerin.
    »Ändern diese Züchtigungen etwas an ihrem Verhalten?«, fragte sie nur. Marianne zuckte mit den Schultern.
    »Sie greift die anderen Schwestern nicht so offen an. Doch sobald sie fort sind, redet sie nur zornig und bitter. Es gefällt ihr hier nicht, weil sie keine schönen Kleider tragen darf. Ihre Zunge ist giftig wie der Stachel einer Hornisse.«
    Marie nickte. In ihrer Zeit in Edwardstowe hatte sie bereits einige Mädchen wie Annais getroffen. Sie erblühten unter den anerkennenden Blicken der männlichen Pilger und des Bischofs, der das Kloster gelegentlich besuchte, und schienen davon auszugehen, dank ihrer Schönheit männliche
Herzen im Sturm erobern zu können. Wie lange würde es wohl dauern, bis sie merkten, dass sie in dieser Welt

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