Die Diener des Boesen
»Highschoolbibliothekar zu sein, meine ich.«
»Als Cop geht's einem heutzutage auch nicht besser.«
Die beiden Männer tauschten verständnisvolle Blicke.
»Könntest du mich an der Bibliothek absetzen?« Giles' Auto war in der Werkstatt. Nicht in der, wo Artie DeMarco arbeitete. Sondern in einer, wo man ihm gesagt hatte, dass es wahrscheinlich billiger wäre, ein neues Auto zu kaufen, als seinen uralten Citroen reparieren zu lassen.
Er hatte ihnen gesagt, dass sie seinen Wagen um jeden Preis wieder fahrtüchtig machen sollten. Wie hieß es doch so schön: Neu war nicht besser. Nicht einmal in Amerika.
Joyce parkte ihren Wagen und sah sich unsicher um. Das Asyl lag im schlimmsten Viertel der Stadt, in einem völlig heruntergekommenen Gebäude, wo im ersten Stock sämtliche Fenster eingeschlagen waren. Es war aus Ziegeln erbaut, und mit viel Mühe - mit ausgesprochen viel Mühe - konnte es ganz schön werden. Es musste ein sehr altes Gebäude sein. Ziegelsteine waren in Südkalifornien wegen der Erdbeben eher ungewöhnlich.
Sie konnte sich einer gewissen Enttäuschung nicht erwehren. Als sie das Asyl geplant hatte, hatte sie sich ein helles kleines Haus vorgestellt, Pingpong spielende Kids, etwas in der Art. Sie wusste, dass es naiv gewesen war, vor allem im Vergleich zur Wirklichkeit: Hämmernde Musik, die so laut war, dass sie kaum noch denken konnte. Poster über AIDS, Schwangerschaft bei Minderjährigen und Selbstmordgefährdung hingen an beiden Seiden der Tür, an der schon der Lack abblätterte. Früher war es nicht so gewesen. In ihrer Highschoolzeit hatte es nicht einen einzigen ...
Nein, hatte es doch.
Sie blieb stehen, die Hand an der Türklinke.
Da war ein Mädchen namens Elise Alexander gewesen, und sie hatte Selbstmord begangen. Mit einer Hand voll Tabletten. Niemand kannte den Grund. Manche meinten, Elise hätte es wegen einem Jungen getan. Andere behaupteten, ihr wäre etwas Schreckliches zugestoßen. Die ganze Schule hatte darüber geredet, aber niemand hatte etwas Genaues gewusst.
Jetzt erinnerte sich Joyce deutlich an die Worte ihrer Mutter: »Dieses arme Mädchen. Es hatte niemanden, an den es sich wenden konnte.«
Also war es vielleicht gar nicht so wichtig, dass sie, als sie die Tür öffnete, von einem Höllenlärm begrüßt wurde, den man heutzutage als Musik bezeichnete, einer erstickenden Wolke aus Zigarettenrauch und einer Hand voll feindseliger junger Gesichter, die sie anstarrten. Jungs mit riesigen, kunstvollen Tattoos und Mädchen mit Makeup, das sie härter und älter machte. Die Kids verkrampften, als sie im Türrahmen auftauchte. Blasse weiße und verschlossene, zornige schwarze Gesichter.
Verängstigte Gesichter.
Sie blieb auf der Schwelle stehen und sah sich nach Liz DeMarco um.
Ein Junge, der ungefähr in Buffys Alter war, kam auf sie zu stolziert. Er trug Jeans, die so weit ausgestellt waren, dass ein Wischeimer bequem hineingepasst hätte. Auf seinem fadenscheinigen T-Shirt stand THE MERMEN - DAS PHANTASTISCHE GLÜCKSGEFÜHL DES TODES.
»Sind Sie Sozialarbeiterin?«, fragte er abschätzig. »Oder ein Cop?«
»Weder noch«, erwiderte sie. »Ich wollte Mrs. DcMarco bcsuchen. Sie ist eine Freundin von mir.«
»Liz?« Er machte eine Kopfbewegung. »Sie ist hinten.«
»Danke.« Sie lächelte ihn an. Er lächelte nicht zurück. Stattdessen schlenderte er davon und schwang sich auf einen laut knarrenden Metallklappstuhl. Unter einem Schild mit der Aufschrift RAUCHEN VERBOTEN. GESETZ DES STAATES KALIFORNIEN zündete er sich eine neue Zigarette an, maß Joyce mit argwöhnischen Blicken und blies den Rauch langsam wieder aus.
Er tat ihr Leid. Es war schrecklich anstrengend, so zornig zu sein. Er musste glauben, einen guten Grund dafür zu haben.
Vielleicht hatte er Recht.
Sie eilte nach hinten und fand Liz an einem zerschrammten Schreibtisch sitzen, vor sich einen Stapel Rechnungen und ein offenes Scheckheft, auf dem eine Kaffeetasse stand, die verhinderte, dass es zuklappte.
Aber Liz schrieb keine Schecks aus. Sie weinte, als hätte ihr jemand das Herz gebrochen.
Joyce eilte zu ihr, kniete neben dem Schreibtisch nieder und berührte Liz' Arm.
Liz fuhr hoch und sank in Joyces Arme.
»Man hat ihren Anhänger gefunden.«
Joyce wusste das. Liz hatte es ihr bereits am Telefon erzählt. Aber jetzt ließ sie die Frau weinen und sagte nur: »Oh, Liz!«
»Sie ist tot. Ich weiß, dass sie tot ist«, schluchzte Liz. »Mein Kind ist tot.«
»Das wissen wir nicht.« Denn
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