Die Dienerin - Gesamtausgabe
gar nicht, dass sie ausgebeutet wurde. Es war an einem Sommertag, es muss wohl so im August gewesen sein. Wir waren in unserem Ferienhaus in der Toskana. Meine Eltern waren ausgegangen, und ich war allein mit Maria. Sie kam einfach in mein Zimmer. Maria trug eine Zimmermädchen Uniform, sie hob ihren Rock und ich sah, dass sie keine Unterwäsche trug. Sie setzte sich auf mich drauf und ritt auf mir, bis ich kam. Sie ging danach sofort aus dem Zimmer und sprach mit mir kaum noch. Sie wurde kurz darauf gefeuert, meine Mutter erzählte mir, sie hätte geklaut, aber ich habe ihr das nie geglaubt.“
Selda atmete tief ein. Die nächste Frage war die schwerste.
„Hast du Kinder John?“
Selda war auf diese Reaktion nicht vorbereitet. John hielt noch immer sein Weinglas in der Hand, es zerbrach mit einem großen Knall. Sein Gesicht wurde aschfahl und seine Augen füllten sich mit Tränen.
„Nein.“
Er flüsterte es fast, Selda konnte ihn kaum verstehen, aber sie wusste die Antwort ist in Wirklichkeit ein ja. John stand auf und ging aus dem Zimmer. Er blieb den ganzen Tag verschwunden und Selda bereute es, dass sie die Frage überhaupt gestellt hatte.
Es war schon fast 20 Uhr, als sich die Tür vom Gästezimmer öffnete. Es war John. Selda hatte sich fertig gemacht, loszugehen. Er sah schrecklich aus, als hätte er die ganze Zeit geweint.
„Bitte geh nicht. Ich möchte dir etwas erzählen.“
Selda nickte ihm zu. Sie würde bleiben, solange er wollte.
19.
JOHN´S GEHEIMNIS
MONTAG
John kam langsam auf Selda zu, er setzte sich zu ihr auf die Bettdecke. Er sah wie am Boden zerstört aus, sein Gesicht war blass und er schien zu zittern. Selda hätte ihn fast umarmt, doch etwas hielt sie davor zurück. Sie sagte nichts, sie wusste genau, wenn er so weit wäre, würde er anfangen zu erzählen.
„Ich habe eine Tochter. Sie wurde entführt. Wir haben sie niemals wieder gesehen. Simone ist fast wahnsinnig darüber geworden. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht an meine Tochter denke.“
John stützte seinen Kopf in seine Hände, er strich sich durch die Haare als könnte er die bösen Gedanken so verscheuchen. Aber natürlich war das zwecklos. Selda empfand unendliches Mitleid mit John. Sie hatte sehr unter ihrer Kinderlosigkeit gelitten, aber ein Kind zu haben und es so grausam zu verlieren, das musste die wahre Hölle sein. Sie hätte John gerne gesagt, sie hätte es bereits gewusst, aber was hätte es gebracht? Sie wollte, dass er ihr vertraute, dass er von sich aus über das Geschehene sprach.
„Sie war so klein, so unschuldig, sie hatte gerade erst mit der Schule angefangen. Wir waren damals in London, Simone, ich und Annabelle. Meine Tochter hieß Annabelle. Simone war mit ihr an diesem Tag unterwegs, Annabelle wollte unbedingt was Süßes essen und Simone ging mit ihr in einen Supermarkt. Sie standen beide an der Kasse, als Annabelle wegrannte. Simone lief ihr nicht hinterher, da es nur einen Ausgang gab. Sie bezahlte und wartete, aber sie kam nicht. Später stellte sie fest, dass es noch einen Ausgang gab, eine immer verschlossene Tür. Annabelle hätte sie niemals alleine öffnen können, Simone wurde klar, dass sie jemand mitgenommen hatte. Wir waren damals fast wahnsinnig vor Angst, Scotland Yard half uns und hat sofort unser Telefon in unserem Haus verwanzt. Wir warteten, dass Lösegeldforderungen eintrafen, und so war es auch. Wir haben sehr viel Geld bezahlt, aber sie wurde uns nicht zurück gebracht. Sie haben unsere Tochter gestohlen und unser Leben zerstört.“
Selda atmete tief ein, John´s Worte gingen ihr unter die Haut. Das war kein Film, das war brutale Realität, so ein trauriges Schicksal hatte sie bis jetzt nicht gehört. John saß einfach nur da, er sagte nichts mehr, aber Selda spürte, dass ihm eine Last genommen wurde. Als hätte er seit Wochen darauf gewartet, sich ihr anzuvertrauen.
Selda stand auf und küsste John auf sein Haar.
„Danke für dein Vertrauen John. Das bedeutet mir sehr viel.“
Er schaute sie traurig an und Tränen schimmerten in seinen Augen.
„Du bekommst noch Geld.“
Selda war gerührt, dass er trotz aller Trauer daran dachte, aber Geld war im Augenblick das Letzte woran Selda dachte.
„Nicht heute, nicht jetzt. Wir erledigen das morgen John.“
Er schaute sie dankbar an und versuchte ein zaghaftes Lächeln.
„Danke.“
Er sprach es aus und senkte sofort den Kopf. Selda nahm ihre Tasche, sie schaute sich
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