Die Dienstagsfrauen zwischen Kraut und Rüben
Segeln nehmen lassen. Das nächste Mal, das nahm sie sich
fest vor, würde sie sich nicht mehr von ihm überrumpeln lassen.
Die Knochen knackten,
der Schweiß floss in Strömen, die Muskeln ermüdeten zunehmend. An Carolines
Händen wuchsen trotz der dicken Handschuhe Blasen. Zu allem Überfluss beschloss
die Sonne, ihnen Gesellschaft zu leisten. Wo war der kühlende Ostseewind, wenn
man ihn brauchte? Erst verstummten die Unterhaltungen, dann stoppten selbst
Stöhnen und Ächzen.
Am fanatischsten wühlte
Estelle in der Erde. Hatte sie beim Umzug wie Dekoration herumgestanden, grub
sie heute auch dann noch weiter, als sie längst nicht mehr konnte. Kein
Mückenschwarm, kein Regenwurm, keine Schnecke, kein Käfer, kein Krabbeltier der
Welt konnte sie davon abhalten, ihre Arbeit zu tun. Sie hatte etwas zu
beweisen. Vor allem sich selbst. An der Energie, mit der sie die Erde
bearbeitete, konnte man ablesen, wie tief sie Sabines Putsch getroffen hatte.
Caroline ermattete
zunehmend. Die schwere Arbeit machte jeden sinnigen und unsinnigen Gedanken
unmöglich. Sie grub und hackte schweigend und schwitzend. Caroline war ins Hier
und Jetzt versunken. Sie bemerkte nicht einmal, dass Steiner von seinem Ausflug
zurückgekommen war. Feixend stand er neben dem Komposthaufen, der durch die
Grasstücke zu einem imposanten Berg angewachsen war. Wieder war sie
unvorbereitet.
»Sie machen ein
Gesicht, als wollten Sie mir am liebsten Ihre Schaufel über die Rübe ziehen«,
sagte er freundlich.
Caroline holte tief
Luft. Es war an der Zeit, der Gefahr ins Auge zu sehen. Sie würde ihn auf die
Probe stellen: »Ich habe es mir überlegt«, sagte sie, »ich nehme an Ihrem
Grundkurs Ornithologie teil.«
Steiner grinste breit:
»Morgen früh um fünf. Ich freue mich.«
35
Halb fünf aufstehen? Und
das im Urlaub? Was für ein Wahnsinn, dachte Caroline. Steiner hatte ihr gestern
glaubhaft versichert, dass die Morgenstunde, wenn die Sonne langsam über den
Horizont stieg und der Nebel sich hob, der beste Moment war, um Vögel bei
Futtersuche und Paarungsritualen zu beobachten. Überhaupt sei jetzt der ideale
Zeitpunkt, denn in der Braut- und Brutzeit würden die Reviere heftig
verteidigt. Trotz des frühen Termins war Caroline schon vor dem ersten
Klingelton wach. Ein schneller Check ihrer E-Mails ergab, dass Nora noch immer
im Wochenendmodus chillte. Es gab keine neuen Anhaltspunkte zu Steiners
Identität und darauf, was sie bei einem so intimen Treffen möglicherweise
erwartete.
Caroline schälte sich
mühsam aus dem Bett. Sosehr sie gewillt war, sich der Konfrontation mit Steiner
zu stellen, ihr Körper streikte. Bis zum Einbruch der Dunkelheit hatten sie
gebuddelt, gegraben und geflucht.
»Auf dem Papier sah das
alles viel übersichtlicher aus«, hatte Kiki geklagt, als sie am Abend nicht
einmal die Hälfte des Solls geschafft hatten. Nach einer spontanen
Telefonkonferenz mit Max, der mit allem einverstanden war, solange er nicht in
seiner Arbeit gestört wurde, hatte sie kurzerhand entschieden, dass man fürs
Erste auch ohne Kartoffelacker und eigenes Getreide nachhaltig wirtschaften
könne. Das halbierte schlagartig die Anbaufläche und machte die Restarbeiten
überschaubar. Um halb zehn war das Licht in der Sandkrugschule ausgegangen. Nur
Eva hatte noch ewig auf der Terrasse gesessen. Caroline fragte sich, ob sie
insgeheim darauf gehofft hatte, dass Steiner noch einmal vorbeikäme.
Total erschöpft war
Caroline gestern ins Bett gesackt. Selbst am nächsten Morgen gelang es ihr nur
mit Mühe, sich aus den Federn zu erheben. Der Muskelkater zog sich vom
Oberschenkel über Rücken und Oberarme bis hin in die Schulterpartie. Besser,
man schöbe sie in Evas Rollstuhl zum Einsatzort. Kurzfristig erwog sie, auf den
frühmorgendlichen Ausflug zu verzichten. Doch wenn sie eine Antwort auf ihre
Fragen haben wollte, musste sie mit Steiner sprechen. Wenn nötig auch über
Vögel.
Bibbernd trat sie in
den dunklen Morgen. Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss. Vielleicht hätte sie
den Freundinnen besser eine kleine Notiz hinterlassen. Bevor Caroline dem
Gedanken nachhängen konnte, hatte Steiner sie entdeckt. Er entsprach in nichts
dem Klischeebild des kauzigen Rentners mit wetterfestem Parka und
Schiebermütze, das ihr Gehirn unter dem Begriff »Vogelkundler« abgespeichert
hatte. Er trug Jeans, teure Turnschuhe, eine dicke blaue Jacke, die bei
Polarexpeditionen sicher gute Dienste leistete, und einen großen Rucksack. Was
um alles in der
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