Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
Vom Netzwerk:
noch auf dem Werksgelände, müßig und sehr unruhig, denn obwohl bezahlte arbeitsfreie Tage unbekannt waren, vertraten die Arbeiter die Auffassung, dass sie unter den besonderen Umständen ihren Lohn verdient hatten. Es blieb auch noch abzuwarten, wer für die Bewachung des Eigentums von Bennett & Harper verantwortlich war und wer verantwortlich wäre, die amtliche Erlaubnis zur neuerlichen Inbetriebnahme der Feuerungsanlage zu geben.
    Zu alledem schien es ernste Probleme mit dem Telegrafendienst der Polizei zu geben, der vermutlich durch die Westminster-Pyramide des Zentralamts für Statistik geleitet wurde. Dort musste es Schwierigkeiten durch den Gestank geben, mutmaßte Mallory. »Sie sind von der Sonderabteilung, Mr. Fraser«, sagte er. »Warum bringen Sie keine Ordnung in diesen Sauhaufen?«
    »Sehr witzig«, knurrte Fraser.
    »Ich fragte mich schon, warum wir keine Polizeistreifen auf den Straßen sahen. Sie müssen auf die Fabriken ganz Londons verteilt sein.«
    »Das scheint Sie mächtig zu freuen«, sagte Fraser.
    »Bürokraten!«, höhnte Mallory. Der Whisky hatte seine Stimmung aufgelockert. »Sie hätten sich denken können, dass es dazu kommen würde, wenn Sie die Katastrophentheorie richtig studiert hätten. Es ist eine Verkettung synergetischer Wechselwirkungen: Das ganze System geht mit einer Rate periodischer Verdoppelung dem Chaos entgegen!«
    »Was bedeutet das, bitte?«
    Mallory lächelte hinter seinem Taschentuch. »In den Begriffen des Laien bedeutet es, dass alles doppelt so schnell doppelt so schlimm wird, bis alles vollständig auseinanderfällt!«
    »Das ist theoretisches Gerede. Sie glauben doch nicht, das hätte etwas mit den Realitäten hier in London zu tun.«
    Mallory nickte. »Sehr interessante Frage! Tiefe metaphysische Wurzeln! Wenn ich das Modell eines Phänomens richtig darstelle, bedeutet dies, dass ich es verstehe? Oder könnte es einfach Koinzidenz sein? Oder eine Begleiterscheinung der Technik? Ich persönlich, als glühender Anhänger von Versuchsanordnungen, setze viel Vertrauen in Maschinenmodelle. Aber die Doktrin kann natürlich in Frage gestellt werden. Das sind tiefe Wasser, Fraser! Dinge, an denen sich der alte Hume und Bischof Berkeley die Zähne auszubeißen pflegten!«
    »Sie sind nicht betrunken, Sir?«
    »Nur ein bisschen angeregt«, antwortete Mallory. »Angeheitert, könnte man sagen.« Sie überließen die Polizei weise ihren Streitigkeiten und wanderten weiter. Auf einmal fühlte Mallory schmerzlich den Verlust seines guten alten Mantels aus Wyoming. Er vermisste seine Feldflasche, sein Fernglas, das beruhigende Gewicht eines Gewehrs auf dem Rücken. Der Anblick eines kalten, reinen, wilden Horizonts, wo das Leben voll gelebt wurde und der Tod schnell und ehrlich war. Er wünschte, er wäre fort von London, wieder auf einer Expedition. Dann könnte er alle Verpflichtungen absagen, könnte Forschungsmittel bei der Royal Society, oder noch besser, bei der Geographischen Gesellschaft beantragen. Er könnte England verlassen!
    »Das brauchten Sie nicht zu tun, Sir«, sagte Fraser. »Könnte die Sache tatsächlich schlimmer machen.«
    »Habe ich laut gesprochen?«
    »Ein bisschen, Sir. Ja.«
    »Wo kann man hier in der Stadt ein erstklassiges Jagdgewehr bekommen?«
    Sie waren jetzt hinter dem Chelsea Park, auf einem kleinen Platz, wo die Läden sich auf optische Erzeugnisse spezialisiert hatten: Talbotypie, Laterna magica, Phenakistoskop sowie Fernrohre und Jagdgläser. Es gab einfache Mikroskope für den wissensdurstigen Junior, denn Jungen waren dafür bekannt, dass sie oft ein lebhaftes Interesse für die winzigen, wimmelnden Lebewesen in einem Wassertropfen entwickelten. Diese Kleinlebewesen waren von keinem praktischen Interesse, aber ihr Studium mochte aufgeweckte junge Geister für die Lehren der echten Wissenschaft öffnen. Überwältigt von Erinnerungen, verweilte Mallory vor einem Schaufenster, das solche Mikroskope ausstellte. Sie gemahnten ihn an den gütigen alten Lord Mantell, der ihm in den Schulferien seine erste bezahlte Arbeit gegeben hatte: Aufräumen im Lewes-Museum. Von den ersten einfachen Verrichtungen und Handreichungen war er bis zum Katalogisieren von Knochen und Vogeleiern aufgestiegen, bevor er sein Studium in Cambridge hatte beginnen können. Der alte Lord war anfangs ein bisschen eifrig mit der Birkenrute gewesen, aber wahrscheinlich nicht mehr, als Mallory verdient hatte.
    Ein unbestimmt sausendes, rollendes Geräusch näherte sich

Weitere Kostenlose Bücher