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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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blassen Augen. »Sehr gut.« Oliphant, der sich mit seinen Hosenträgern und dem gestärkten Vorhemd überaus albern vorkam, stieg auf McNeiles Behandlungstisch, ein eigenartiges Möbel mit Ge lenkscharnieren, das in gleicher Weise einer Chaiselongue und einer Streckbank ähnelte. Die verschiedenen Segmente des Tisches waren gepolstert und mit steifem, gemustertem Brokat bezogen, der sich glatt und kalt anfühlte. Oliphant bemühte sich, eine bequeme Lage zu finden. McNeile machte dies unmöglich, indem er mehrere Messingräder bediente. »Bitte halten Sie still«, sagte McNeile.
    Oliphant schloss die Augen. »Dieser Pocklington …«, sagte McNeile.
    »Wie bitte?« Oliphant öffnete die Augen. McNeile stand neben ihm und beschäftigte sich mit einer Drahtrolle an einstellbaren Armaturen.
    »Pocklington. Er beansprucht das Verdienst am völligen Verschwinden der Cholera in Limehouse.«
    »Der Name ist mir nicht vertraut. Ein Mediziner?«
    »Schwerlich. Der Bursche ist Ingenieur beim Wasserwerk. Er behauptet, er habe die Cholera besiegt, indem er die Schwengel von städtischen Wasserpumpen entfernte!« McNeile schraubte ein geflochtenes Kupferkabel fest.
    »Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht folgen.«
    »Kein Wunder, Sir! Der Mann ist entweder ein Dummkopf oder ein Scharlatan übelster Sorte. Er hat in The Times geschrieben, dass die Cholera nichts weiter sei als das Ergebnis verseuchten Wassers.«
    »Halten Sie das für ganz und gar unvernünftig?«
    »Es steht in völligem Gegensatz zur aufgeklärten medizinischen Theorie.« McNeile schloss ein zweites Stück Kupferdraht an. »Sehen Sie, dieser Pocklington genießt die Protektion von Lord Babbage. Man kann sagen, er sei ein Favorit des Lords. Bevor er sich der Wasserversorgung annahm, war er beauftragt, die Belüftungsprobleme der pneumatischen Züge zu beheben.«
    Oliphant, der unschwer den Neid in McNeiles Ton heraushörte, verspürte boshafte Befriedigung. In seiner Ansprache beim Staatsbegräbnis Lord Byrons hatte Babbage die Tatsache bedauert, dass die moderne Medizin mehr eine Kunst denn eine Wissenschaft geblieben sei. Die Ansprache war natürlich von allen Zeitungen des Landes abgedruckt worden.
    »Schließen Sie bitte die Augen für den Fall, dass bei der Entladung Funken frei werden.« McNeile zog große, steife Lederhandschuhe über. Dann verband er die Kupferkabel mit einer schweren Batterie. Der schwache, unheimliche Ozongeruch von Elektrizität erfüllte die Luft. »Bitte versuchen Sie sich zu entspannen, Mr. Oliphant, um die Umsteuerung der Pole zu erleichtern!«
    Die Half Moon Street lag im Licht einer groben Webb-Lampe, welche die Form einer kannelierten korinthischen Säule hatte und mit Methangas aus den Kloaken betrieben wurde. Wie die übrigen Lampen ihres Typs war sie während des sommerlichen Notstands unangezündet geblieben, da man Lecks und Explosionen befürchtet hatte. Tatsächlich hatte es mindestens ein Dutzend Gasexplosionen gegeben, die das Straßenpflaster aufgerissen hatten und größtenteils demselben Gasreservoir zugeschrieben wurden, das die Webb-Lampen versorgte. Lord Babbage war ein entschiedener Befürworter der Webb-Methode; infolgedessen wusste jeder Schuljunge, dass die Methanerzeugung einer einzigen Kuh für die tägliche Beheizung, Beleuchtung und Kochherdfeuerung eines durchschnittlichen Haushaltes ausreichte.
    Er blickte zu der Lampe auf, als er sich der georgianischen Fassade seines Hauses näherte. Das Licht war ein weiteres Zeichen der Rückkehr zur Normalität, aber Zeichen trösteten ihn wenig. Gewiss war der verheerende soziale Aufruhr jetzt überwunden, aber Byrons Tod hatte sukzessive Wellen von Instabilität ausgelöst; Oliphant stellte sie sich wie die Wellenriffel in einem Teich vor, die sich ausbreiteten und mit anderen überlappten, welche ihrerseits von weniger augenfälligen Ursachen herrührten und unberechenbare Turbulenzen erzeugten. Zu diesen zählte unzweifelhaft die Sache mit Charles Egremont und der gegenwärtigen Hexenjagd auf die Ludditen.
    Oliphant wusste mit absoluter professioneller Gewissheit, dass die Ludditen ausgestorben waren; trotz der Anstrengungen einiger weniger manischer Anarchisten hatten die Londoner Aufstände des vergangenen Sommers keinen zusammenhängenden oder organisierten politischen Hintergrund gezeigt. Alle vernünftigen Forderungen der arbeitenden Klasse waren von den Radikalen zusammengefasst und übernommen worden. Byron hatte in seinen tatkräftigen Jahren die Justiz

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