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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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größer als Zweishillingstücke waren, und einen Fotografenkittel aus fleckenlosem weißen Baumwollstoff. An seinen Fingern haftete Silbernitrat.
    Oliphant verbeugte sich, wünschte seiner Hoheit einen guten Tag in der bevorzugten Sprache der königlichen Familie und gab vor, die Schweizer Kamera zu untersuchen, eine komplizierte Konstruktion, deren stereooptische Linsen wie Augen unter glatten Messingbrauen hervorstarrten. Wie die Augen von Mr. Cart, dem muskulösen Schweizer Kammerdiener des Prinzgemahls, schienen sie Oliphant ein wenig zu weit auseinanderzustehen.
    »Ich habe Affie ein kleines Geschenk mitgebracht, Hoheit«, sagte Oliphant. Sein Deutsch hatte, wie das des Prinzgemahls, einen fränkischen Akzent – das Vermächtnis einer langen und delikaten Mission, die Oliphant auf Geheiß der königlichen Familie unternommen hatte. Prinzgemahl Alberts Coburger Verwandte, von jeher Meister der ehrwürdigen Kunst der Heiratspolitik, waren bestrebt, ihr winziges Kronland zu erweitern – eine umso delikatere Angelegenheit, als die Politik des britischen Außenministeriums darauf abzielte, die deutschen Kleinstaaten so zerrissen und politisch machtlos wie möglich zu halten. »Hat der junge Prinz seine Tageslektion abgeschlossen?«
    »Affie ist heute krank«, sagte Albert, während er durch seine getönten Brillengläser eine der Kameralinsen untersuchte. Er zog einen weichen Pinsel hervor und reinigte die Oberfläche der Linse von anhaftenden Staubteilchen. Dann richtete er sich auf. »Meinen Sie, das Studium von Statistiken könnte für ein zartes junges Gemüt eine zu große Belastung sein?«
    »Meine Meinung, Königliche Hoheit?«, sagte Oliphant. »Statistische Analyse ist tatsächlich eine anstrengende Technik …«
    »Seine Mutter und ich sind in der Sache verschiedener Meinung«, vertraute ihm der Prinzgemahl bekümmert an. »Und Alfreds Fortschritte in der Sache sind weit davon entfernt, zufriedenstellend zu sein. Nichtsdestoweniger ist Statistik in England alles.«
    »Kommt er in seinen anderen Studien gut voran?«, fragte Oliphant.
    »Anthropometrie«, antwortete der Prinz zerstreut. »Eugenik. Umfangreiche Wissensgebiete, aber für das jugendliche Gehirn vielleicht weniger beanspruchend.«
    »Vielleicht sollte ich einmal mit ihm sprechen, Königliche Hoheit«, sagte Oliphant. »Ich weiß, dass der Junge gutwillig ist.«
    »Er ist sicherlich in seinem Zimmer«, sagte der Prinzgemahl.
    Oliphant wanderte durch die zugige Pracht der königlichen Gemächer zu Alfreds Zimmer, wo er mit einem Freudenschrei begrüßt wurde. Der Prinz krabbelte von einem Berg aus Kissen und Federbetten und sprang leichtfüßig über die Geleise einer äußerst fein gearbeiteten Miniatureisenbahn. »Onkel Larry! Onkel Larry! Großartig! Was hast du mir mitgebracht?«
    »Baron Zordas neueste Abenteuer.«
    In Oliphants Manteltasche, eingewickelt in grünes Papier und noch stark nach frischer Druckerschwärze riechend, war ein Exemplar von Paternoster, der Dampfbandit von einem Autor, der sich Baron Zorda nannte. Es war der dritte Band in der beliebten Jugendbuchserie, deren zwei vorausgegangene Bände, Armee der Skelette und Radfahrer des Zaren bereits den begeisterten Beifall des jungen Prinzen gefunden hatten. Der auffallend bunte Schutzumschlag zeigte den wagemutigen Paternoster, wie er, die Pistole in der Hand, von einem dahinjagenden Fahrzeug absprang, das man für einen Dampfwagen neuester Bauart halten musste – tropfenförmig, mit Blech verkleidet. Das Titelbild, welches Oliphant schon beim Buchhändler betrachtet hatte, stellte Baron Zordas kühnen Straßenräuber detaillierter dar, besonders im Hinblick auf seine Kleidung, zu der ein breiter, mit Silbernägeln beschlagener Ledergürtel und ausgestellte Hosen mit geknöpften Seitenschlitzen an den Aufschlägen gehörten.
    »Super!« Eifrig riss der Junge das grüne Seidenpapier auf. »Sieh dir seinen Dampfwagen an, Onkel Larry! Enorm!«
    »Für den bösen Paternoster ist das Schnellste gerade gut genug, Affie. Und sieh dir den Titel an. Eine Aufmachung wie Kinnhaken-Ned.«
    »Und die Zimmermannshosen«, sagte Alfred bewundernd. »Und sein verdammt breiter Gürtel!«
    Oliphant ignorierte die sprachliche Entgleisung des Jungen. »Und wie ist es dir seit meinem letzten Besuch ergangen, Affie?«
    »Sehr gut, Onkel Larry«, ein Schatten von Besorgnis ging über das junge Gesicht, »aber ich fürchte, ich … ich fürchte, sie … sie ist zerbrochen, weißt du …« Der Prinz

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