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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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einer punktierten Haube, und mit noch größeren Gummistiefeln an den Füßen, als Helen America sie trug.
    »Komme sofort, Genossin Clystra«, sagte Helen America.
    Der Clown fixierte Oliphant mit einem mörderischen Funkeln, dann waren die beiden verschwunden.
    Oliphant blickte zu Mori. »Ein sonderbarer Abend, Mr. Mori.«
    Mori, anscheinend vertieft in das Geklapper und die Geschäftigkeit des Autocafés, brauchte ein paar Sekunden, um zu antworten.
    »Wir werden solche Lokale wie dieses in meinem Land haben, Oliphant-san! Sauber! Modern! Und sehr schnell!«
    Nach Oliphants Rückkehr in die Half Moon Street folgte Bligh ihm hinauf zur Tür des Arbeitszimmers. »Darf ich einen Moment hereinkommen, Sir?« Bligh sperrte die Tür mit seinem eigenen Schlüssel hinter sich ab, ging zu einem kleinen Schreibpult in Einlegearbeit, auf dem Oliphant seine Rauchutensilien abzustellen pflegte, öffnete das Oberteil eines Luftbefeuchters, griff hinein und nahm einen gedrungenen kleinen Zylinder aus emailliertem Blech heraus. »Dies wurde von einem jungen Mann zur Küchentür gebracht, Sir. Er wollte seinen Namen nicht nennen, als ich ihn fragte. Ich nahm mir die Freiheit, die Versiegelung zu öffnen, Sir, eingedenk der verschiedenen ungesitteten Versuche …«
    Oliphant nahm den Behälter und schraubte den Deckel ab. Ein Telegrafen-Lochstreifen war der Inhalt.
    »Und der junge Mann?«
    »Ein jüngerer Maschinenangestellter, Sir, nach dem Zustand seiner Schuhe zu urteilen. Abgesehen von dem Umstand, dass er Baumwollhandschuhe trug, die er nicht auszog.«
    »Und es gab keine Botschaft?«
    »Doch, Sir. ›Sagen Sie ihm‹, sagte er, ›dass wir nicht mehr tun können. Die Sache ist sehr gefährlich, er soll nicht wieder danach fragen.‹«
    »Ich verstehe. Würden Sie so gut sein, mir eine Kanne starken grünen Tee heraufzubringen?«
    Sobald Bligh gegangen war, nahm Oliphant die schwere Glashaube von seinem persönlichen Telegrafenempfänger, zu welchem Zweck er vier Flügelschrauben aus Messing lösen musste. Er stellte den hohen, vitrinenartigen Glassturz sicher ab, dann verbrachte er einige Minuten mit dem Instruktionshandbuch des Herstellers. Nachdem er in mehreren Schubladen gesucht hatte, fand er die benötigten Werkzeuge: eine Handkurbel aus Messing mit Walnussgriff und einen kleinen Schraubenzieher mit dem Monogramm der Firma Colt & Maxwell. Er betätigte den Schalter am Fuß des Apparats und unterbrach die elektrische Verbindung mit der Post. Dann setzte er den Schraubenzieher an, um die notwendigen Einstellungen vorzunehmen, fädelte das Ende des Lochstreifens sorgfältig durch die stählernen Führungsrollen, setzte die Führungsschienen ein und holte tief Luft.
    Ganz plötzlich war er sich seiner Herzschläge bewusst und der Nachtstille, die aus der Dunkelheit des Green Park hereindrückte. Er steckte das sechseckige Ende der Kurbel in die Fassung des Apparates und begann, sie langsam und gleichmä ßig im Uhrzeigersinn zu drehen. Die Typenhämmer kamen in Bewegung, hoben sich und fielen, hoben sich und fielen und entschlüsselten den Lochcode des Poststreifens. Er mochte nicht hinsehen, als der Streifen sich langsam aus dem Schlitz schob.
    Es war getan. Mit Schere und Kleistertopf setzte er die Botschaft auf einem Blatt Papier zusammen:

VOR NEUN JAHREN TATEST DU MIR DIE SCHLIMMSTE SCHMACH AN KOMMA DIE EINE FRAU ERLEBEN KANN STOP DU VERSPRACHST MIR KOMMA DASS DU MEINEN ARMEN VATER RETTEN WÜRDEST STOP STATTDESSEN VERFÜHRTEST DU MICH UND STIESSEST MICH INS VERDERBEN STOP HEUTE VERLASSE ICH LONDON IN DER GESELLSCHAFT MÄCHTIGER FREUNDE STOP SIE WISSEN SEHR GUT KOMMA WAS FÜR EIN VERRÄTER DU AN WALTER GERARD UND AN MIR WARST STOP VERSUCHE NICHT KOMMA MICH ZU FINDEN KOMMA CHARLES STOP ES WÄRE NUTZLOS STOP ICH HOFFE KOMMA DU UND MRS. EGREMONT WERDET HEUTE NACHT RUHIG SCHLAFEN STOP SYBIL GERARD
    Er registrierte kaum, dass Bligh mit dem Tee kam, und saß regungslos fast eine Stunde vor der telegrafischen Botschaft. Dann, nachdem er sich eine Tasse lauwarmen Tee eingeschenkt hatte, griff er zu Briefpapier und Füllfederhalter und begann in seinem fehlerlosen Diplomatenfranzösisch einen Brief an einen gewissen Monsieur Arslau in Paris aufzusetzen.
    Die Luft stank noch nach Blitzlichtpulver.
    Der Prinzgemahl wandte sich mit seiner ganzen teutonischen Schwere von der komplizierten stereooptischen Kamera Schweizer Fabrikation und begrüßte Oliphant auf Deutsch. Er trug eine blaue Brille, deren kreisrunde Linsen nicht

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