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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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Handgelenken.
    Der unordentlich frisierte, hennagefärbte Kopf Helen Americas erschien. Ihre Augen waren mit Kohlestift umrandet.
    Mori blieb in seiner Fechterpose.
    »Miss Helen America?« Oliphant brachte eine zweite Karte zum Vorschein. »Gestatten Sie mir, dass ich mich vorstelle. Ich bin Laurence Oliphant, Journalist …«
    Helen America vollführte eine schnelle Manipulation vor dem versteinerten Gesicht ihres Landsmannes, als ob sie etwas aus der Luft herbeizaubern wollte. Der Mann ließ seinen Rattanstock sinken, ohne den wilden Blick von Mori zu wenden. Der Stock, sah Oliphant, war offensichtlich beschwert, wahrscheinlich mit Blei ausgegossen. »Cecil ist taubstumm«, sagte sie.
    »Das tut mir leid. Ich gab ihm meine Karte …«
    »Er kann nicht lesen. Sie sind ein Zeitungsmann?«
    »Ein freier Journalist. Und Sie, Miss America, sind eine Autorin ersten Ranges. Gestatten Sie mir, meinen guten Freund vorzustellen, Mr. Mori Arinori, Abgesandter des Mikado von Japan.«
    Mit einem tödlichen Blick zu Cecil ließ Mori seinen Stock sinken, nahm mit bewundernswerter Anmut den Zylinder vom Kopf und verbeugte sich nach europäischer Art. Helen America sah ihn mit großen Augen an wie einen abgerichteten Hund, der ein ungewöhnliches Kunststück vollbringt. Sie trug einen geflickten Militärmantel, fadenscheinig, aber anscheinend sauber und von dem Grau, das für die Armee der Konföderierten Staaten charakteristisch war. Die Originalknöpfe waren jedoch durch runde Hornknöpfe ersetzt worden.
    »Ich habe noch nie einen Chinesen so herausgeputzt gesehen«, sagte sie.
    »Mr. Mori ist Japaner.«
    »Und Sie sind ein Zeitungsmann.«
    »In gewisser Weise, ja.«
    Helen America lächelte und enthüllte einen Goldzahn. »Und hatten Sie Freude an unserer Vorstellung?«
    »Sie war außerordentlich, ganz außerordentlich.«
    Ihr Lächeln wurde breiter. »Dann kommen Sie nach Manhattan, Mister, denn das Volk hat das alte Olympic, östlich vom Broadway, über der Houston Street, in Besitz genommen. Zu Hause finden wir die meiste Anerkennung.« Sie trug dünne silberne Ohrringe inmitten einer wirren Wolke hennagefärbter Locken.
    »Das wäre mir ein großes Vergnügen. Ebenso wie es mir ein Vergnügen sein würde, ein Interview mit der Autorin von …«
    »Ich habe das nicht geschrieben«, erklärte sie. »Fox war es.«
    »Verzeihen Sie, wer?«
    »George Washington Lafayette Fox – der marxistische Grimaldi, der Tamla der sozialistischen Pantomime! Es war die Entscheidung der Truppe, in das Programm zu setzen, dass ich die Autorin sei, obwohl ich mich dagegen gewehrt habe und noch immer wehre.«
    »Aber die Botschaft, die Sie eingangs verlasen …«
    »Ja, die habe ich geschrieben, Sir, und bin stolz darauf. Aber der arme Fox … Es war der schreckliche Arbeitsdruck«, sagte sie. »Der große Fox, der ganz allein die sozialistische Pantomime auf ihr gegenwärtiges Niveau revolutionärer Bedeutung hob, überanstrengte sich, Sir. Der Zwang, immer neue, immer treffendere Szenen und raschere Verwandlungen zu schaffen, war einfach zu viel für ihn. Er glitt in den Wahnsinn ab. Seine Grimassen waren schrecklich anzusehen«, vertraute sie Oliphant an. »Es kam vor, Mister, dass er auf die gröbsten Unanständigkeiten verfiel; darum steckten wir seinen Pfleger in ein Affenkostüm, damit er auf die Bühne springen und ihn bearbeiten konnte, wenn er allzu obszön wurde.«
    »Es tut mir sehr leid …«
    »Manhattan ist nicht der rechte Ort für die Verrückten, Sir, traurig, das sagen zu müssen. Jetzt ist er in der Anstalt von Somerville, Massachusetts, und wenn Sie das veröffentlichen wollen, seien Sie mein Gast.«
    Oliphant starrte sie verdutzt an. Mori Arinori hatte sich diskret ein paar Schritte zurückgezogen und schien das Publikum zu beobachten, das aus dem Theater drängte. Der taubstumme Cecil mit seinem bleigeladenen Rattanstock war verschwunden.
    »Ich könnte ein ganzes Pferd verputzen«, sagte Helen America.
    »Dann erlauben Sie mir bitte, Sie zu einer Mahlzeit einzuladen. Wo wünschen sie zu speisen?«
    »Es gibt ein Lokal um die Ecke.« Als sie die Stufen neben dem Orchestergraben herunterkam, sah Oliphant, dass sie Gummistiefel trug, große, klobige Dinger militärischen Ursprungs. Mori an seiner Seite, folgte er ihr aus dem Theater. Die Dame hatte nicht darauf gewartet, dass er ihr den Arm bot.
    Sie führte die beiden die Straße hinunter und um eine Ecke. Gaslicht flackerte vor einer Kinotrop-Inschrift, die abwechselnd

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