Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)
Chaiselongue fallen. »Mick, wenn du bloß wüsstest, was ich gedacht habe …«
»Dann raff dich auf, jetzt!« Er nahm sie bei der Hand und zog sie auf die Beine. »Ich brauche diese Lochkarten, und sie sind in seinem Zimmer. Du wirst sie für mich suchen und herausholen. Und ich gehe unterdessen zurück ins Rauchzimmer, eiskalt.« Er lachte. »Der alte Bastard hätte es vielleicht nicht versucht, wären meine Tricks bei seinem Vortrag nicht gewesen. Du und Corny Simms gabt ihm das Gefühl, wieder obenauf zu sein und die Fäden zu ziehen! Aber wir werden ihn noch zum Gimpel machen, du und ich zusammen …«
»Ich fürchte mich, Mick«, klagte Sybil. »Ich verstehe mich nicht aufs Stehlen!«
»Du dummes Huhn, natürlich verstehst du dich darauf!«
»Nun, kommst du mit mir und hilfst?«
»Natürlich nicht! Dann würde er ja Bescheid wissen, nicht wahr? Ich sagte ihm, du seist eine Bekannte von mir, eine Journalistin bei einer hiesigen Zeitung. Wenn ich allzu lange ausbleibe, wird er bestimmt Lunte riechen.« Er funkelte sie an.
»Also, in Ordnung«, sagte Sybil, bezwungen. »Gib mir den Schlüssel zu seinem Zimmer.«
Mick grunzte. »Schlüssel? Ich habe keinen Schlüssel.«
Erleichterung durchströmte sie. »Nun, ich bin kein Einbrecher, weißt du!«
»Nicht so laut, oder willst du, dass alle im Hotel dich hören?« Seine Augen blitzten zornig. Sybil merkte, dass auch er betrunken war. Sie hatte ihn bisher niemals betrunken gesehen, aber jetzt war es nicht zu übersehen, dass er hackedicht war. Es zeigte sich nicht in seiner Stimme oder in seinem Gang, doch hatte der Alkohol seine Hemmungen beseitigt und ihn verrückt und tollkühn gemacht. »Ich werde dir einen Schlüssel besorgen. Geh zu dem Mann am Tresen und flunkere ihm was vor. Beschäftige ihn. Und schau nicht zu mir hin.« Er gab ihr einen leichten Stoß. »Geh!«
Angsterfüllt kehrte sie zum Empfang zurück. Der Telegrafenapparat des Hotels stand am anderen Ende des Tresens, eine tickende Messingmaschine auf einem niedrigen Marmorsockel, der mit vergoldetem Weinlaub geschmückt war. In einer Art Stundenglas schwang eine vergoldete Nadel hin und her und zeigte auf Buchstaben in einem konzentrisch angeordneten Alphabet. Bei jedem Nadelausschlag klopfte und schnurrte etwas in dem Marmorsockel und ein weiterer halber Zentimeter säuberlich perforierten gelben Papierbandes kam hervor. Der diensttuende Angestellte, der Papiere lochte und abheftete, ließ von seiner Arbeit ab, setzte einen Zwicker auf und kam zu ihr.
»Ja, Madame?«
»Ich muss ein Telegramm aufgeben. Es ist ziemlich dringend.«
Der Mann zog einen kleinen Kasten mit Lochkarten, einen Messingperforator und ein sauber liniertes Formblatt heran. Dann zog er den Füllfederhalter, den Sybil zuvor benutzt hatte. »Sehr wohl, Madame. Bürger-Nummer?«
»Oh … würde das meine Nummer sein oder die des Empfängers?«
»Das kommt darauf an, Madame. Wenn Sie sich des nationalen Kreditsystems bedienen wollen, ist die Angabe Ihrer Bürgernummer erforderlich.«
»Kann ich es mit auf die Hotelrechnung setzen lassen?«, wich Sybil aus.
»Gewiss, Madame. Ihre Zimmernummer?«
Sybil zögerte wieder. »Ach, ich glaube, ich zahle lieber in bar.«
»Sehr wohl. Nun, die Bürger-Nummer des Empfängers?«
»Ich fürchte, dass ich sie nicht kenne.« Sie zwinkerte den Angestellten nervös an und begann, an einem Fingerknöchel zu nagen. Er war sehr geduldig. »Aber den Namen und die Anschrift des Empfängers werden Sie haben, ja?«
»O ja«, sagte sie hastig. »Mr. Charles Egremont, MP , Belgravia, London.«
Er schrieb die Anschrift nieder. »Es ist leider kostspieliger, ein Telegramm nur mit der Adresse aufzugeben, Madame. Es ist nämlich einfacher und praktischer, es direkt über das Zentralamt für Statistik zu leiten.« Sybil hatte aus Furcht, ihn zu verraten, nicht nach Mick Ausschau gehalten. Nun sah sie am Rand ihres Blickfeldes eine dunkle Gestalt tief gebückt durch das Foyer eilen. Mick war so niedergeduckt, dass es beinahe aussah, als liefe er auf allen vieren. Er hatte die Schuhe ausgezogen und an den Schnürsenkeln um seinen Hals geknotet. Als er den hüfthohen Mahagonitresen erreicht hatte, zog er sich mit beiden Händen hoch, flankte in einem Sekundenbruchteil hinüber und verschwand.
Er hatte überhaupt kein Geräusch gemacht.
»Es hat mit der maschinellen Behandlung der telegrafischen Botschaften zu tun«, erläuterte der Angestellte.
»Ich verstehe«, sagte Sybil. »Aber ich habe
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