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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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»Angenommen, ich fragte – als ein elementares Beispiel –, wie dieses Tier sich von holzigen Zweigen und Laub ernähren konnte? Sein Kopf ist kaum größer als der eines Pferdes, sein Gebiss bemerkenswert schwach entwickelt.«
    »Es kaute nicht mit den Zähnen«, dozierte Mallory. »Es hatte einen mit Mahlsteinen besetzten Muskelmagen. Nach der Größe des Brustkorbs zu urteilen, muss dieses Organ einen Meter lang gewesen sein und vielleicht hundert Pfund gewogen haben. Ein Vormagen dieser Größe hat mehr Muskelkraft als die Kauwerkzeuge von vier Elefantenbullen.«
    »Warum sollte ein Reptil solche Nahrungsmengen benötigen?«
    »Der Brontosaurus war an sich nicht warmblütig, besaß aber eine hohe Stoffwechselrate. Es ist einfach das Verhältnis von Oberfläche zu Volumen. Eine Körpermasse von dieser Größe bewahrt ihre Wärme selbst bei kühler Witterung. Die Gleichungen sind einfach zu berechnen und werden nicht mehr als eine Stunde auf einer der kleineren Maschinen der Royal Society in Anspruch nehmen.«
    »Das wird noch schrecklichen Ärger geben«, murmelte Huxley.
    »Sollen wir zulassen, dass die Politik der Wahrheit im Wege steht?«
    »Richtig. Er hat uns, Mr. Reeks … Ich fürchte, Sie müssen Ihre sorgfältigen Pläne umändern.«
    »Die Leute im Studio sind für eine Herausforderung immer zu haben, Sir«, sagte Reeks. »Und wenn ich so sagen darf, Dr. Huxley, eine Kontroverse wirkt Wunder bei den Besucherzahlen.«
    »Noch etwas«, sagte Mallory. »Der Zustand des Schädels ist leider fragmentarisch und wird genaues Studium und ein gewisses Maß an theoretischen Überlegungen erfordern. Deshalb würde ich in der Angelegenheit des Schädels gern zu Ihnen ins Studio kommen, Mr. Reeks.«
    »Selbstverständlich, Sir. Ich werde veranlassen, dass Sie einen Schlüssel erhalten.«
    »Lord Gideon Mantell lehrte mich alles, was ich weiß, über die Anfertigung von Gipsmodellen«, sagte Mallory. »Zu viel Zeit ist vergangen, seit ich mich selbst mit diesem ehrenwerten Handwerk beschäftigte. Daher würde ich es sehr begrüßen, die neuesten Fortschritte in der Technik unter so exemplarischen Bedingungen beobachten zu können.«
    Huxley lächelte mit einer Andeutung von Unsicherheit. »Ich hoffe nur, wir können Sie zufriedenstellen, Ned.«
    Mallory wischte sich den Nacken mit einem Taschentuch und betrachtete mit unglücklicher Miene das Hauptgebäude des Zentralamts für Statistik.
    Das alte Ägypten war vor über zwei Jahrtausenden untergegangen, aber Mallory hatte es gut genug kennengelernt, um eine Abneigung dagegen zu fassen. Der französische Durchstich des Suezkanals war ein heroisches Unternehmen gewesen und hatte zur Folge gehabt, dass alles Ägyptische in Mode gekommen war. Diese Torheit hatte auch England erfasst und das Land mit Skarabäen als Broschen und Krawattennadeln überschwemmt, mit Teekannen im Stil des Horusfalken, mit echten und nachgeahmten Obelisken und Miniaturen der nasenlosen Sphinx als Briefbeschwerer in Marmor und Messing. Textilfabrikanten hatten das ganze tierköpfige Gesindel heidnischer Gottheiten auf Vorhänge und Teppiche und Wandbehänge gestickt, sehr zu Mallorys Missfallen, und ganz besonders verdross ihn das alberne Gefasel über die Pyramiden, Ruinen, die genau jene Art schwachköpfige Verwunderung erzeugten, die sein Feingefühl am meisten abstieß.
    Natürlich hatte er mit Bewunderung von den Ingenieur leistungen der Kanalbauer gelesen. In Ermangelung von Kohle hatten die Franzosen ihre großen Dampfbagger mit bitumengetränkten Mumien befeuert, die wie Brennholz gestapelt und tonnenweise verkauft worden waren. Gleichwohl missgönnte er der Ägyptologie den Raum, den sie in den historischen und geografischen Fachzeitschriften usurpierte.
    Das Zentralamt für Statistik, in der Form vage pyramidenförmig und in seinen ornamentalen Einzelheiten übermäßig ägyptisiert, stand im Kernbereich der Regierungsgebäude in Westminster. Die obersten Stockwerke verjüngten sich zu einer Spitze aus Kalksteinquadern. Die stufenförmig rückversetzten Terrassen waren von hohen Schornsteinen durchbrochen und trugen einen Wald von rotierenden Ventilatoren, deren Blätter Falkenflügeln nachgebildet waren. Der ganze gewaltige Bau war in allen Geschossen durchlöchert von schwarzen Telegrafenleitungen, als ob sich sämtliche Informationsströme des Weltreiches von allen Seiten durch den massiven Stein gebohrt hätten. Das dichte Gewirr der Drähte führte an Wand armen und Mauerbügeln

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