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Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
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einem Aufzug, wurde von einem uniformierten Wärter eingelassen und auf eine andere Ebene befördert. Die Luft hier war trocken und statisch, die Korridore belebter. Es gab mehr von den eigentümlich unifor mierten Polizisten sowie gut gekleidete, ernst aussehende Herren; Rechtsanwälte vielleicht, oder die Syndici großer Unternehmen und Kapitalisten, die sich mit den politischen und juristischen Problemen ihrer Arbeitgeber herumschlugen. Und obwohl sie vermutlich ihre Frauen und Kinder und Backsteinhäuser hatten, kamen sie Mallory hier wie geradezu geisterhafte oder gar geistliche Gestalten vor.
    Einige Schritte weiter war er plötzlich gezwungen, einem zweiten wagenschiebenden Rollboten auszuweichen. Er fand Halt an einer dekorativen gusseisernen Säule. Das Metall war so heiß, dass er sich die Handflächen ansengte. Trotz ihrer überreichen Ornamentierung mit Lotusblüten war die Säule ein Schornstein. Aus dem Inneren drang das gedämpfte Brausen und aussetzende Fauchen eines schlecht eingestellten Flammrohres.
    Nachdem er wieder seine Wegweisung konsultiert hatte, betrat er einen Korridor, der links und rechts von Büroräumen gesäumt war. Beschäftigte in weißen Kitteln eilten von Tür zu Tür, wichen Boten aus, die ihre mit Lochkarten beladenen Wagen durch die Gänge schoben. Die Gaslampen waren hier heller, flackerten jedoch in der gleichmäßigen Zugluft. Mallory blickte über die Schulter. Am Ende des Korridors stand ein großes Stahlgehäuse mit einem Ventilator. Die Flügel wurden über ein Zahnrad von einer Kette angetrieben, die zu einer unsichtbaren Maschine in den Eingeweiden der Pyramide hinabführte. Die Lager des Ventilators quietschten leise.
    Ein Gefühl von Benommenheit begann sich in Mallory auszubreiten. Wahrscheinlich war dies alles ein Fehler gewesen. Sicherlich gab es bessere Möglichkeiten, dem Geheimnis des Derbytages nachzugehen, statt sich mit einem bürokratischen Busenfreund Oliphants auf Zuhälterjagd zu machen. Schon die Luft hatte etwas Bedrückendes, trocken und leblos und seifig, die Böden und Wände poliert und glänzend. Noch nie hatte er einen Ort gesehen, der so völlig frei von gewöhnlichem Staub und Schmutz war … Diese Korridore erinnerten ihn an etwas, an eine andere labyrinthische Reise.
    Lord Darwin.
    Mallory und der große Gelehrte waren gemeinsam auf einem schattigen, von Hecken gesäumten Weg in Kent unterwegs gewesen. Darwin hatte mit seinem Spazierstock in der feuchten schwarzen Erde gestochert und in seiner endlosen, methodischen, erdrückend detaillierten Art und Weise über Regenwürmer gesprochen. Regenwürmer, die unter den Füßen der Menschen unablässig an ihrer nützlichen Arbeit waren, sodass selbst mächtige Findlinge langsam in die Erde sanken. Darwin hatte den Prozess in Stonehenge gemessen, in einem Versuch, das prähistorische Monument zu datieren.
    Mallory, die Karte vergessen in der Hand, zupfte angestrengt an seinem Bart, überwältigt von einer Vision enormer Mengen von Regenwürmern, die in katastrophaler Panik durch einanderwühlten, dass die Erde wie Hexengebräu brodelte und Blasen warf. Innerhalb von Jahren, vielleicht bloß Monaten, würden alle Bauwerke der Menschheit gewissermaßen schiffbrüchig und bis auf den Felsuntergrund absinken …
    »Sir? Kann ich Ihnen behilflich sein?«
    Mallory kam mit einem Schreck zu sich. Ein Angestellter in weißem Kittel stand vor ihm und musterte sein Gesicht mit Misstrauen durch seine Brille. Mallory starrte verwirrt und finster zurück. Einen göttlichen Augenblick lang war er am Rand einer Offenbarung gewesen, und nun war sie verflogen, so kläglich und unrühmlich wie ein erstorbener Niesreiz.
    Damit nicht genug, merkte Mallory nun, dass er wieder laut gemurmelt hatte. Über Regenwürmer, vermutlich. Missmutig hielt er dem anderen seine Wegweisung hin. »Ich suche Ebene 5, QK -50.«
    »Das ist die Abteilung Quantitative Kriminologie, Sir. Dies hier ist die Abschreckungsforschung.« Der Mann zeigte auf ein Schild über einem benachbarten Büro. Mallory nickte benommen.
    » QK finden Sie rechts um die Ecke«, sagte der Mann. Mallory ging weiter. Er fühlte den skeptischen Blick des Beamten auf sich. Die Abteilung QK war eine Bienenwabe winziger abgeteilter Räume mit mannshohen Trennwänden. Männer in Handschuhen und Schürzen saßen an ihren abgeschrägten Arbeitstischen, untersuchten und manipulierten Lochkarten mit den verschiedenen Vorrichtungen spezialisierter Locher: Mischer,

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