Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Die Differenzmaschine: Roman (German Edition)

Titel: Die Differenzmaschine: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson , Bruce Sterling
Vom Netzwerk:
dieses Gebäude ist fremdes Territorium für mich. Unter solchen Umständen schätzt man es, einen einheimischen Führer zu haben, der sich auskennt.«
    »Warum haben Sie sich dann nicht an den Chef gewandt?«
    »Ich hoffte, Sie würden mir das sagen, Mr. Tobias.«
    Mehr als die Münze schienen Mallorys Antworten den jungen Mann zu überzeugen. Er zuckte mit den Achseln: »Wakefield ist nicht übel. Ich an seiner Stelle würde nicht anders handeln. Aber heute ließ er Ihre Nummer durchlaufen und bekam einen ganzen Stapel Lochkarten über Sie. Sie haben ein paar gesprächige Freunde, Mr. Mallory.«
    »Tatsächlich?« Mallory zwang sich zu einem Lächeln. »Diese Akte muss, ausgedruckt, eine interessante Lektüre abgeben. Ich würde sie natürlich sehr gern lesen.«
    »Ich nehme an, dass amtliche Unterlagen bisweilen in unbefugte Hände gelangen«, räumte der junge Mann ein. »Natürlich würde es den Betreffenden die Stellung kosten, wenn er dabei erwischt wird.«
    »Gefällt Ihnen Ihre Arbeit, Mr. Tobias?«
    »Die Bezahlung ist nicht besonders. Das Gaslicht ruiniert einem die Augen. Aber sie hat ihre Vorteile.« Er zuckte wieder mit den Achseln, stieß eine weitere Klapptür auf und führte Mallory in einen Vorraum, der auf drei Seiten von Regalen gesäumt und auf der vierten Seite von Hüfthöhe aufwärts verglast war.
    Durch das Glas war ein großer Saal mit aufragenden Maschinen zu sehen – so viele, dass Mallory zuerst dachte, die Wände müssten verspiegelt sein, wie in einem feinen Ballsaal. Es war wie ein Stück Illusionskunst, mit dem Ziel, das Auge zu täuschen – die mächtigen, identischen Maschinen, uhrenähnliche Konstruktionen aus kompliziert ineinandergreifendem Messing, groß wie aufgestellte Güterwaggons, jede auf fußhohen gepolsterten Lagern. Die weiß getünchte Decke, zehn Meter hoch, war voll von Transmissionen, die die Antriebskraft von zwei gewaltigen Speichenschwungrädern auf die einzelnen Maschinen übertrugen. Weiß gekleidete Locher, neben ihren Maschinen wie Zwerge, gingen durch die makellos sauberen Gänge zwischen den Kolossen. Ihre Haare steckten in weißen Baskenmützen mit Gummizügen, Münder und Nasen waren hinter weißen Gazemasken verborgen.
    Tobias blickte mit völliger Gleichgültigkeit zu diesen majestätisch aufgereihten Kolossen. »Den ganzen Tag kleine Löcher überprüfen. Keine Fehler machen! Eine falsche Lochung macht den ganzen Unterschied zwischen einem Geistlichen und einer Giftmischerin. Viele arme, unschuldige Teufel sind auf diese Weise ruiniert worden …«
    Das Ticken und Zischen, das durch die Glasscheiben drang, dämpfte seine Worte.
    In der Bibliothek waren zwei gut gekleidete, ruhige Männer in ihre Arbeit vertieft. Sie beugten sich zusammen über ein großes, viereckiges Album mit farbigen Bildern.
    »Bitte nehmen Sie Platz«, sagte Tobias.
    Mallory setzte sich an einen Bibliothekstisch. Die Stühle waren schwenkbare Armsessel auf Gummirädern. Tobias wähl te einen Archivkasten mit Karten, setzte sich Mallory gegenüber und durchblätterte die Karten. Hin und wieder hielt er inne und stieß einen behandschuhten Zeigefinger in einen kleinen Behälter mit Bienenwachs. Er nahm zwei Karten heraus. »Waren dies Ihre Anfragen, Sir?«
    »Ich habe Papierformulare ausgefüllt. Aber Sie haben das auf Lochkarten übertragen, nicht wahr?«
    »Ja, QK nahm die Anfrage auf«, sagte Tobias und blinzelte auf die Karten, »aber wir mussten sie zur Anthropometrie weiterleiten. Diese Karte ist oft durchgelaufen, was bedeutet, dass schon allerlei Sortierarbeit verrichtet worden ist.« Plötzlich stand er auf und holte einen Loseblattordner – Handbuch für Locher. Er verglich eine von Mallorys Karten mit einer Abbildung in dem Buch, einen Ausdruck zerstreuter Geringschätzung in den Zügen. »Haben Sie die Formblätter vollständig ausgefüllt, Sir?«
    »Ich glaube schon.«
    »Größe des Verdächtigen«, murmelte der junge Mann. »Länge und Breite des linken Ohres, linken Fußes, linken Unterarms, linken Zeigefingers.«
    »Ich schätzte die Maße, so gut ich konnte«, sagte Mallory. »Aber warum nur die linke Seite, wenn ich fragen darf?«
    »Weniger beeinflusst durch körperliche Arbeit«, murmelte Tobias abgelenkt. »Alter, Farbe von Haut, Haaren, Augen. Narben, Muttermale … ah, da ist etwas. Missgestaltung.«
    »Der Mann hatte eine vorgewölbte Stirn und eine Beule an der Seite«, sagte Mallory.
    »Frontale Plagiozephalie.« Der junge Mann schlug in seinem

Weitere Kostenlose Bücher