Die Dirne vom Niederrhein
beinahe schwarz.
»Zu schade«, flüsterte er mehr zu sich selbst. »Dein Leben hättest du noch retten können.«
Jegliche Luft schien ihr genommen. Ihre Beine wollten ihr nicht mehr gehorchen. Es tat weh, so unbeschreiblich weh. Sie spürte die massige Hand des Majors an ihren Haaren, dann drückte er sie zur Seite und Elisabeth fiel zu Boden. Der Offizier war über ihr. Verschwommen sah sie, wie er seinen massigen Stiefel hob und ihn mit voller Wucht gegen ihren Kopf donnerte. Ein dumpfer Schmerz durchzog ihren Körper. Es war, als hätte ein Pferdetritt sie an der Stirn erwischt.
Sie wollte etwas sagen, aufstehen. Doch die Mühen waren vergebens. Ihre Hände verkrampften sich um den Griff des Dolches.
»Bringt die Verwundeten mit den übrigen Huren nach Viersen. Vikar Weisen erwartet sie bereits«, schrie von Rosen seinen Männern zu. »Die Leichen verbrennt ihr noch hier auf der Lichtung.«
Elisabeth konnte nicht sagen, ob sie bereits tot war oder noch auf dieser Welt verweilte. Bela musste sich auf sie geworfen haben, ihre kalten Hände befühlten ihr Gesicht. Doch die Geräusche drangen nur noch leise an Elisabeths Ohren, als würden sie aus einer anderen Welt stammen. Das Wehklagen von Bela schien allgegenwärtig. Mit aller Macht zwang sich Elisabeth, die Augen zu öffnen. Major von Rosen hatte das Mädchen an den pechschwarzen Haaren gefasst, zog es von ihr weg.
»Und endlich gehörst du mir«, hörte Elisabeth den Mann noch sagen.
Er fasste mit beiden Händen ihren Kopf, drückte ihr einen Kuss auf den Mund. Bela ließ sich das nicht gefallen. Sie biss in seine Lippen.
Ein dunkler Schrei hallte auf der Lichtung wider. Von Rosens holte mit seiner mächtigen Pranke aus, donnerte seine flache Hand in ihr Gesicht. Bela landete direkt neben Elisabeth, sodass sie die verheulten Augen des Mädchens sah. In ihnen war so viel Angst zu lesen, so viel Schmerz und Pein, dass Elisabeth ihre Hand ausstrecken wollte, um sie ihr zum Trost zu reichen. Jedoch wollte ihr kein Muskel gehorchen.
»Wir werden viel Zeit haben«, grollte von Rosen. »Ich werde dir schon noch Manieren beibringen.«
Immer mehr Dunkelheit senkte sich über Elisabeth herab. Der hilflose Blick Belas verschwamm, irgendwann konnte Elisabeth nur noch Umrisse erkennen.
»Eli, hilf mir …, bitte.«
Nicht du auch noch. Ich kann dich nicht auch noch verlieren. Bitte, bleib bei mir. Bitte.
Einer ihrer Finger bewegte sich in Belas Richtung. Es war der letzte, ohnmächtige Versuch, sie zu berühren.
»Eli …«, weinte Bela voller Qual.
Im letzten Moment glaubte sie, Antonellas Gesicht zu erkennen, das wehklagend neben ihr im weichen Moos lag. Es wurde fortgerissen und mit ihm gingen auch die letzten Strahlen des Lichts.
Kapitel 12
- Schatten der Vergangenheit -
Erschöpft schulterte Maximilian die beiden Jutesäcke, bevor er die letzten Fuß zum Kloster schritt. Es war bereits spät in der Nacht, als er endlich die geweißelte Fassade des Gebäudes erblickte und mit seinem vom Vikar ausgehändigten Schlüssel die Tür öffnete.
Sofort stach ihm der beißende Gestank in die Nase, als wäre er gegen eine unsichtbare Wand aus Exkrementen gelaufen. Die letzten Tage strengten ihn – gelinde gesagt – mehr an, als alles, was er bisher erlebt hatte. Die knochenharte Arbeit in Vaters Schmiede kam ihm dagegen wie purer Müßiggang vor.
Vor fünf Tagen hatte das Kloster ein offener Karren erreicht. Voll mit Leichen und Menschen, die kurz davor waren, Leichen zu werden. Früh am Morgen hatte er den jubilierenden Schrei von Doktor Sylar vernommen, als dieser mit prüfendem Blick zwischen tot und lebendig unterschied und schließlich Dutzende von Männern und Frauen in die Krankenstube getragen wurden. Maximilian hatte an diesem Tag unter den Argusaugen von Schwester Agathe die Flure im Obergeschoss putzen müssen. Nur ab und zu hatte er die Gelegenheit gehabt, einen Blick aus dem Fenster zu werfen. Dabei beobachtete er, wie ein zweiter, diesmal geschlossener Wagen vor den Toren des Klosters hielt. Zwischen Geschrei und Wehklagen drangen die Stimmen der Frauen durch das Fenster an seine Ohren, während er mit der Bürste über den Boden fuhr. Seit diesem Zeitpunkt war die Tür zur Krankenstube geschlossen. Schwester Agathe hatte bitterlich geweint und sich in den letzten Tagen mehrere Wortgefechte mit dem Vikar geliefert. War das Verhältnis der beiden seit seiner Ankunft unterkühlt gewesen, zeigte sich zwischen ihnen nun der offene
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