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Die Dirne vom Niederrhein

Die Dirne vom Niederrhein

Titel: Die Dirne vom Niederrhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Thiel
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Liegen waren voll mit Soldaten, die dem Tode näher waren als dem Leben. Auf dem Boden war Stroh ausgelegt worden, auf dem etliche Männer in verkrümmter Position und in ihrem eigenen Unrat lagen, manchmal nur mit einem Leibchen bedeckt. Drei Schwestern, die er kaum kannte, hasteten augenblicklich zu ihm, nahmen den großen Topf an sich und machten sich daran, die Brühe in kleinere Schalen zu füllen.
    »Ah, Maximilian, da bist du ja«, sagte Doktor Sylar beiläufig, während er einen Patienten behandelte.
    Das schweißgebadete Gesicht des Doktors glänzte im zuckenden Schein der Fackeln. Mit einer kleinen Eisenstange befühlte er die offene Kopfwunde eines Mannes. Der Soldat stöhnte vor Schmerzen, als der Arzt den Druck auf die Schläfe erhöhte und den Stab weiter einführte.
    »Das ist gut«, flüsterte er mehr zu sich selbst. »Ein sehr schöner, tiefer Stich. Hervorragend, um das Gehirn zu erreichen.«
    Die Augen des Soldaten zuckten unruhig, der Mund war halb geöffnet und unverständliche Laute drangen über seine Lippen. Schließlich erhob sich der Arzt. »Ich denke, dass der Vikar dich über alles Weitere informiert hat. Wir können hier wirklich jede helfende Hand gebrauchen.« Dabei legte er seine Finger auf Maximilians Rücken und führte ihn in den hinteren Trakt der Krankenstube. »Ich habe deine Tat vor wenigen Wochen nicht vergessen und ich bin dir immer noch zu Dank verpflichtet.«
    »Das habe ich gerne gemacht, Doktor …«
    »Ja, ja, Schnee von gestern, wir wissen es«, unterbrach der Arzt Maximilian und fuchtelte mit der freien Hand. Anscheinend war er sehr in Eile und diese Ansammlung von Patienten schien das reinste Vergnügen für den Mann zu sein. »Ich bin froh, dich hier zu haben. In diesen speziellen Räumen sind renitentere Fälle, wie du ja bereits weißt. Einem großen, starken Mann, wie du es bist, dürfte es leicht fallen, diese Frauen zurückzuhalten, sollten sie dich angreifen wollen. Einige von ihnen sind … Ach, mach dir ein eigenes Bild.«
    Maximilian tat, wie ihm geheißen, und lugte durch die mit Gitterstäben versehenen Holztüren. Er konnte eine kleine rothaarige Frau ausmachen. Sie lag gefesselt auf der Liege, ihr Mund war geknebelt. Ihr Körper war von Wunden übersät. Der Verband an ihrem Kopf war von Blut durchtränkt. Bei den anderen Zellen bot sich ihm ein ähnliches Bild. Er sah eine schlaksige Brünette, die sich mit einer Hand den Bauch hielt, daneben noch weitere Frauen mit ähnlichen Verletzungen.
    »Wo sind die anderen Insassen dieser Zellen hin?«
    »Aber mein lieber Maximilian, dass sind keine Zellen«, antworte Doktor Sylar beinahe ein wenig erbost. »Es sind Unterkünfte für unsere besonderen Fälle, vergiss das bitte nicht. Die vorherigen Patienten sind leider verstorben. Ich konnte ihnen nicht mehr helfen.«
    Maximilian blickte argwöhnisch auf den kleinen Mann herunter. »Alle gestorben? Zufällig, bevor die hessische Armee ihre Verwundeten und diese Frauen hierher brachte?«
    Entwaffnend erhob der Arzt seine Arme und begann hektisch seine Brille zu reinigen. »Gottes Wege … Du weißt ja.«
    Maximilian nickte kurz, er verstand. Einen kurzen Moment war er wieder der Alte und seine Hände formten sich zu Fäusten. Zu lange hatte er weggesehen und war der Handlanger dieser Machenschaften gewesen.
    »Ich würde dich bitten, das Essen an die Patienten in diesen Zimmern zu verteilen. Diese Aufgabe möchte ich nicht den Schwestern aufbürden und auch ich habe … schlechte Erfahrungen dabei gemacht. Lass dich von dem dummen Zeug, das über ihre Lippen dringt, nicht in die Irre führen. Sie sind im Wahn und wissen nicht, was sie sagen. Die Fieberträume haben von ihnen Besitz ergriffen. Antworte ihnen einfach nicht. Hier der Schlüssel für die Zellen, dieser hier ist für die Ketten, falls du ihn brauchst, gib ihn mir später einfach zurück.«
    »Ich verstehe«, entgegnete Maximilian und befühlte die kleinen Schlüssel. War die Überreichung durch den Vikar noch eine Auszeichnung gewesen, wog diese nun tonnenschwer in seiner Hand.
    »Gut, an die Arbeit. Es gibt viel zu tun.«
    Sofort war Doktor Sylar verschwunden. Obwohl Maximilian nicht ganz wohl dabei war, in diese beklemmenden Zellen einzutreten, füllte er Brühe in eine Schale und öffnete die erste.
    Das rothaarige Mädchen war schlimm zugerichtet. Ein Auge war zugeschwollen, der Verband rot und ihre Arme und Beine übersät mit Schnittwunden. Nur mit viel Mühe konnte man sich vorstellen, wie viel

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