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Die Dirne vom Niederrhein

Die Dirne vom Niederrhein

Titel: Die Dirne vom Niederrhein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sebastian Thiel
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Hass.
    Maximilians Finger schmerzten, über seine Schultern zogen sich dicke Striemen von der Schlepperei, als er in die Küche schritt und den Schwestern die beiden Säcke auf den Tisch wuchtete. Wie emsige Bienchen waren die drei Frauen damit beschäftigt, das Essen für die Bedürftigen vorzubereiten. Leider war dies ein arbeitsreicher Nebeneffekt der Ereignisse vor fünf Tagen. Jetzt, da die Krankenstube aus allen Nähten zu platzen schien, musste er täglich Nahrung von umliegenden Höfen herbeiholen. Ihm war nicht bewusst, wie Vikar Weisen dieses Arrangement bewerkstelligt hatte, schließlich hatte in dieser Zeit niemand etwas zu verschenken, ja nicht einmal zu verkaufen. Doch Maximilian hatte aufgehört, die Beziehungen und Überredungskünste des Vikars zu hinterfragen. Der Geistliche schien überall seine Kontakte zu haben, einen Großteil seiner Korrespondenz pflegte er mit den einflussreichsten Männern der Region, andere Schriftstücke bekam selbst Maximilian nicht zu Gesicht. Was ihm durchaus recht war. Zu tun gab es genug.
    Nachdem er seine Glieder gestreckt hatte, schritt er langsam durch die mit Fackeln beleuchteten Gänge der Abtei. Die Uhr der Kirche hatte bereits zur achten Stunde geschlagen und die Nonnen würden bald das letzte Gebet des Abends sprechen, wenn sie nicht das Essen zubereiteten oder Doktor Sylar assistierten. Als Maximilian an der mit Eisen beschlagenen Tür der Krankenstube vorbeikam, stoppte er unwillkürlich.
    Hier war der Ursprung dieses ekelhaften Gestanks, der sich in das Kloster gefressen hatte wie eine Plage. Alle Räume, die Wände, ja sogar die Kleidung stanken nach Verwesung, nach Schmerzen und Tod. Und dann diese Schreie. Maximilian ging unsicher auf die befestigte Tür zu. Doktor Sylar war praktisch nirgendwo anders mehr zu finden. Er hatte frohlockt, als er die Patienten gesehen hatte, und schien Tag und Nacht hinter dieser Tür zu verbringen. Im gleichen Maße, wie die Euphorie des Arztes zunahm, hatte Schwester Agathe sichtlich abgebaut. In den letzten fünf Tagen hatte sie bei der Speisung der Patienten helfen müssen. Dies war die einzige Aufgabe, welche der Vikar ihr noch zugestand. Als Maximilian sie nach der Ausgabe der Nahrung gesehen hatte, hatte sie aggressiv gewirkt, wie ein verletztes Tier, das man in die Ecke gedrängt hatte. Ihre Augen glühten vor Wut. Es war beinahe zu einem Ritual geworden, dass die Nonne den Vikar immer wieder in seiner Schreibstube aufsuchte und um ein Gespräch bat.
    Ein spitzer Schrei ließ Maximilian zurückweichen. Auch das hatte in dem Gemäuer der Abtei zugenommen. Diese Schreie. Zu jeder Tageszeit suchten sie sich den Weg durch die Gänge in sein Gehör. Mittlerweile begleiteten sie ihn wie selbstverständlich bei seiner Arbeit und in seinen Träumen. Vikar Weisen hatte ihm erklärt, dass die Arbeit von Doktor Sylar nun mal eine gewisse Art von Schmerz mit sich bringe, den die armen Seelen bis zur Heilung ertragen mussten.
    Noch einige Sekunden lauschte er den Geräuschen, dann machte er sich auf in die Schreibstube des Vikars. Es gab genug Arbeit zu erledigen. Vor der Tür stockte er in seiner Bewegung.
    »Ihr seid ein Scheusal, nur auf Euer eigenes Wohl bedacht«, drang Schwester Agathes Stimme spitz an seine Ohren.
    »Es ist zum Wohle der Abtei und des Herrn, könnt Ihr das nicht verstehen?«, schrie Vikar Weisen ungewohnt laut zurück.
    Dann ging die Tür auf. Das Gesicht der Schwester war rot wie die Abendsonne. »Der Herr hat diesen Ort verlassen, schon vor langer Zeit, als Ihr Euch den Posten des Vikars gesichert habt. Trotzdem werde ich für Eure Seele beten. Leider glaube ich, dass Ihr sie längst dem Teufel vermacht habt«, keifte sie, warf Maximilian einen bitterbösen Blick zu und eilte wutentbrannt davon.
    Vor der offenen Tür stehend, sah Maximilian, wie der Vikar mit funkelnden Augen an seinem Schreibtisch lehnte. Graue Federkiele lagen in dunkler Eisengallustinte am Boden, ein paar Bögen Papier waren wild im Raum verstreut.
    »Du musst die Unordnung entschuldigen. Schwester Agathe und ich hatten wieder einmal einen Disput.« Er stöhnte auf, fuhr sich über das verschwitzte Gesicht. »Du hast es ja mitbekommen.«
    Maximilian nickte. »Ich habe die Vorräte geholt, wie Ihr wolltet.«
    Schnell setzte Vikar Weisen ein freudiges Lächeln auf. Er erhob sich und klopfte dem jungen Mann auf die Schulter.
    »Sehr gut, auf dich kann man sich verlassen.« Dabei legte er seinen Arm um ihn und führte ihn zu der Sitzbank.

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