Die Dirne vom Niederrhein
so viel Schuld, wie du auf deine Schultern geladen hast?«
Elisabeths Mundwinkel zuckten. Sie deutete mit einem Kopfnicken auf ihr Handgelenk. »Glaub mir, das habe ich versucht. Doch ich wurde gefunden, die Mutter eines Hurentrosses und ihre Mädchen haben mich bei sich aufgenommen und mir ein neues Leben geschenkt.«
»Dann haben wir ja etwas gemein.« Maximilian hob den Arm, die weißen Narben waren im Fackelschein gut zu erkennen.
Elisabeth versuchte, sich aufzurichten. Ihre Augen blitzten angriffslustig. »Zu schade, dass es nicht geklappt hat. Und du bist Löw geworden?«
Er hasste dieses Wort. »Dies ist die Krankenstube eines Klosters. Die Verwundeten des Krieges werden hier versorgt.«
Spöttisch lachte Elisabeth auf und zerrte demonstrativ an den Ketten. »Ein Kloster? Darauf wäre ich beileibe nicht gekommen. Eure Nonnen scheinen mehr Folterknechte als Gottesdiener zu sein.«
Maximilian lächelte verächtlich und löste ihre Ketten. Sie sollte anscheinend auf ihren Füßen stehen, wenn er ihr den Dolch in die Rippen stach. »Erheb dich.«
Es tat unendlich gut, ihre Gelenke von dem reibenden Metall befreit zu wissen. Für einen Moment schmerzte es, als sie sich erhob, dann sah sie ihm tief in die Augen. »Sie summt mein Todeslied, oder?«
Maximilian drehte den Kopf. Tatsächlich drang eine ihm unbekannte Melodie, gesungen von einer schönen Stimme, an seine Ohren.
»Dann tu, wofür du hier bist, Maximilian.« Die Worte kamen gepresst und voller Hass über ihre Lippen. »Ich habe versagt, genau wie du. Wäre es nicht deine Aufgabe gewesen, deinen Bruder vom Gemetzel fernzuhalten? Du hättest ihn zur Vernunft bringen müssen, stattdessen habt ihr einen aussichtslosen Krieg gegen die Hessen geführt und Soldaten gespielt. Hättest du ihn nicht zurückhalten können, als er aufbrach, um meine geliebte Schwester zu retten?«
»Deine geliebte Schwester?« Jetzt konnte sich Maximilian nicht mehr halten. »Das aus dem Mund der Prinzessin, die alles besaß. Gib mir nicht die Schuld, dass du sie verraten hast. Wer war es, der sie dem Pöbel zum Fraß vorwarf? Wer war geblendet von so viel Eifersucht?« Jeder Muskel seines Körpers war gespannt, als sich seine Finger um den Griff des Dolches legten, dessen Klinge rötlich glänzte. »Beantworte meine Frage, wer hat sie auf dem Gewissen, Elisabeth? Wer?«
»Ich!«, schrie sie und breitete die Arme aus. »Darum tu es endlich. Es ist meine Schuld, dass sie tot ist, genau wie es deine Schuld ist, dass Lorenz nicht mehr unter uns weilt.« Voller Zorn schritt sie auf ihn zu, nahm die Hand, die den Griff des Dolches umfasste, und führte sie zu ihrem Hals. Ihre Augen funkelten. »Ja, ich habe es gehört, jeder Bewohner sprach davon. Ich habe nichts anderes als den Tod verdient. Tu mir einen Gefallen: Stoß die Klinge danach auch in deine Brust, damit diese Erde gleich von zwei Sündern befreit ist.«
Er wollte zustechen. Es wäre so einfach. Doch ihre Worte entsprachen der Wahrheit. Sollte er sie töten, musste er auch sich selbst richten. Egal, was Vikar Weisen sagte. Sein ganzer Leib zitterte vor Hass. Er fasste mit der linken Hand ihren Kopf, drückte ihr die Klinge an die Kehle.
»Tu es endlich!«, zischte Elisabeth. Ein paar Tropfen Blut suchten sich von ihrem Hals den Weg nach unten. »Tu es!«
Sie hatte es verdient. Er wartete einen Moment – einen Moment zu lange. Er konnte es nicht. Maximilian warf den Dolch mit voller Wucht gegen die Mauer, bevor er einige Schritte zurückwich. Die Hände vor das Gesicht gelegt, ging er in die Hocke und lehnte sich an die Wand.
»Denkst du, ich wollte, dass sie stirbt? Dass sie beide sterben?«, spie er aus.
»Auch ich erleide jeden Tag hundert Tode«, antwortete Elisabeth ruhig. »Wenn ich mein Leben für das deines Bruders oder meiner Schwester geben könnte, glaub mir, ich würde es tun.« Ihre Stimme war durchzogen von Trauer. »Ich hatte ein Auge auf Lorenz geworfen und habe durch meine blinde Eifersucht alles verloren. Es ist noch nicht zu spät, Maximilian. Die Klinge liegt dort.«
»Die Ketten halten dich nicht mehr zurück. Beende es selbst, wenn du möchtest.«
Elisabeth schüttelte den Kopf, dann schwiegen sie eine Weile.
»Also sind wir beide Sünder. Unser Tod würde daran nichts ändern.«
»Aber es wäre gerecht.«
Maximilian lachte spöttisch und stand auf. »Es fällt mir schwer, an diese Art von Gerechtigkeit zu glauben. Du hast deine Schwester verloren, ich meinen Bruder. Nichts auf dieser
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