Die Dirne vom Niederrhein
Ziel. Ohne anzuklopfen, trat er durch das wuchtige Tor. Der bärtige Mann, von dem Schwester Agathe ihm berichtet hatte, verrichtete gerade sein Handwerk.
»Ich habe einen Auftrag für Euch«, sagte Maximilian.
Der Mann musterte ihn von oben bis unten. Noch bevor er etwas erwidern konnte, warf Maximilian den Beutel mit Münzen auf seinen Tisch.
Zehn Tage dauerte es, bis sein Auftrag endlich erfüllt worden war. An diesem Tag musste er sich eilen, um seine Aufgaben zu erledigen. Obwohl jeder Knochen seines Körpers schmerzte und dicke Blasen sich unter seinen Fußsohlen gebildet hatten, war er unendlich glücklich, endlich das Kloster zu erreichen. Seine Hand glitt herab. Zum wiederholten Male befühlte er das kleine Bündel, das er vor wenigen Stunden aus Crefeld erhalten hatte. Der erste Teil seines Plans war gelungen. Ihm graute es bei dem Gedanken, nun den zweiten, weitaus schwierigeren Teil anzugehen.
Wann würde er seine Chance bekommen? Immerhin war der Vikar der klügste Mann, dem er je begegnet war. Maximilian ertappte sich dabei, wie er ein Stoßgebet zum Himmel sandte. Irgendwann musste es einfach so weit sein.
*
Sie spürte einen weiteren Schwall in sich hochkommen, dabei schloss sie die Augen und ließ die nächsten Sekunden über sich ergehen. Ihre blonde Mähne hatte sie tief in den Kragen ihres Kleides gestopft, zumindest ein wenig Eitelkeit wollte Elisabeth sich bewahren. Die letzten Reste des Essens vermischten sich mit Wasser und tröpfelten in den Eimer in ihrer Zelle. Tränen schossen aus ihren Augen und vereinten sich mit dem braunen Gemisch. Bis sie erneut erbrechen musste, blieb ihr eine Sekunde zum Luftholen, danach warf sie der Würgereiz wieder nach vorn. Mit der rechten Hand stützte sie sich auf den kalten Steinen ab. Endlich war es vorbei – vorerst.
Elisabeth trank einige Schlucke Wasser, legte sich erschöpft auf das getrocknete Stroh und lehnte ihren Kopf gegen die Wand. Fast wie von selbst glitten ihre Finger den Unterleib herab, sie spürte die Narbe des Einstichs, ein Mal auf ihrer vormals makellosen Haut. Ihre Finger suchten sich den Weg zwischen ihre Beine, dann zog sie ihre Hand nach oben und begutachtete jeden Zoll. Wieder nichts!
Das konnte nicht sein, das durfte nicht sein. Nicht jetzt, nicht in dieser Situation. Die letzten Tage waren verwoben mit Schmerz und dem ewigen Warten. An die Schreie hatte sie sich ein wenig gewöhnt, wurde aber immer noch jede Nacht davon geweckt. Maximilian war, sooft es ging, in ihrer Zelle gewesen und hatte sie über die Ausführung seines Plans informiert. Leider konnte er nur sehr kurz bleiben. Jede Minute, die er länger hier verbrachte als nötig, würde den Argwohn des Arztes wecken. Sein Plan war riskant, mit viel Arbeit verbunden. Sie konnte nichts anderes machen, als hier in der Zelle zu sitzen und jeden Tag zu hoffen, dass er ihr gute Neuigkeiten brachte. Anscheinend war sie die Einzige, die das Privileg besaß, sich ohne Knebel frei zu bewegen. Vielleicht war ihre frühere Bekanntschaft der Grund dafür, dass der Arzt bei seinen Rundgängen nichts sagte und stillschweigend erduldete, wie Elisabeth zusammengekauert auf dem Stroh ihre Tage verbrachte.
Bald war es so weit. Vikar Weisen würde in wenigen Nächten aufbrechen, um den Mann zu treffen, der Bela als Sklavin hielt.
Als es Nacht geworden war, blickte Elisabeth durch den kleinen Spalt, den der Arzt einmal als Fenster bezeichnet hatte, und betrachtete den Mond. Bald würde er sein volles Ausmaß erreicht haben. Noch ein paar Tage vielleicht. Ob sie bis dahin noch lebte? Noch immer hallten ihr die Worte des Majors im Ohr.
Zumindest in der kurzen Zeit, wo sie noch auf dieser Welt verweilen werden.
Was hatte er damit gemeint? Welche Absprache war zwischen dem Vikar und Major von Rosen getroffen worden? Die Unwissenheit nagte an ihr. Maximilian hatte ihr von den Studien berichtet, die Doktor Sylar durchführte. Ob auch sie Opfer seiner Experimente werden würden? Noch hatte er die Frauen gesund gepflegt, wie Maximilian ihr berichtete, doch ohne Grund würde er sie sicherlich nicht hier behalten.
Je mehr die Nacht sich in Stille verlor, desto mehr schwand ihre Hoffnung, Maximilian an diesem Tag noch einmal zu sehen. Heute Morgen waren es die Nonnen gewesen, die eine größere Kupferschüssel mit Getreidebrei und einen Eimer Wasser gebracht hatten. Das musste wohl für den Tag reichen. Anscheinend hatte das Kloster Probleme, die vielen Kranken zu versorgen. Sie seufzte.
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