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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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meiner Tür lassen. Verbrennen Sie sie. Ich würde diesen - diesen Geruch nie wieder aus ihnen herausbekommen.« Wieder in seinem Zimmer, in Reithose und Hemd (denn eine zweite Soutane hatte er nicht nach Drogheda mitgebracht), erinnerte er sich an den Brief und an sein Versprechen. Inzwischen hatte es sieben Uhr geschlagen, und er hörte einen wilden, wenn auch gedämpften Wirrwarr vom Eingangsraum her: Die Dienstmädchen und die Aushilfskräfte waren dabei, diesen Raum in aller Hast wieder in eine Kapelle zu verwandeln. Nun, es half alles nichts: Noch heute abend mußte er nach Gilly zurück, um eine andere Soutane zu holen sowie Gewänder für die Totenmesse. Bestimmte Dinge hatte er stets bei sich, wenn er das Pfarrhaus verließ, um zu einer entlegenen Station zu fahren. In einem kleinen schwarzen Koffer war mit großer Sorgfalt untergebracht, was er für das Spenden verschiedener Sakramente brauchte: für Taufe und Eucharistie, für Buße und Krankensalbung. Auch die Meßgewänder hatte er bei sich, die jeweils, nach den Erfordernissen im Kirchenjahr, nötig wurden. Doch er war Ire, und so widerstrebte es ihm, die dunkle Gewandung für die Totenmesse bei sich zu haben: Das hieß das Schicksal herausfordern.
    In einiger Entfernung erklang plötzlich Paddys Stimme. Nein, dachte der Priester, jetzt möchte ich ihn nicht sehen, nicht mit ihm sprechen. Mrs. Smith wird sich schon um alles kümmern.
    Durch das Fenster in seinem Zimmer sah er Drogheda im dahinschwindenden Licht der Abendsonne. Golden schimmerten die Eukalyptusbäume, die Unmassen von Rosen im Garten - weiß und rosa und rot - waren wie von Purpur überhaucht. Er holte Mary Carsons Brief hervor, hielt ihn zwischen den Händen. Sie hatte gesagt, er solle ihn lesen, bevor sie bestattet würde, und eine leise Stimme in ihm schien ihm zuzuflüstern, er müsse das jetzt tun, ja, jetzt. Nicht erst in einigen Stunden, nachdem er mit Paddy und Meggie gesprochen hatte, sondern jetzt, wo die Erinnerung an Mary Carson noch ganz nah war.
    Der Umschlag enthielt vier Bogen Papier. Er faltete sie auseinander. Die beiden unteren enthielten das Testament, das ließ sich auf den ersten Blick erkennen. Die beiden anderen bildeten einen Brief, ein persönliches Schreiben, an ihn gerichtet.
    »Mein teuerster Ralph,
    Sie werden inzwischen gesehen haben, daß dieser Umschlag außer meinem Brief noch mein Testament enthält. In Harry Goughs Büro in Gilly befindet sich bereits ein von mir ordnungsgemäß unterschriebenes Testament; doch das hier beigefügte ist wesentlich jüngeren Datums, was jenes bei Harry natürlich ungültig werden läßt.
    Ich habe es erst ganz vor kurzem aufgesetzt. Tom und der Zaunmacher waren die Zeugen, von denen ich es unterschreiben ließ. Soweit ich weiß, wäre es rechtlich unzulässig, jemanden als Zeugen zu nehmen, der im Testament bedacht ist. Sie können sicher sein, daß kein Gericht im Land es für ungültig erklären würde. Aber warum habe ich dieses Testament nicht von Harry aufsetzen lassen, wenn mir daran lag, über meine Hinterlassenschaften anders zu verfügen als zuvor? Aus einem sehr einfachen Grund, mein teurer Ralph. Außer Ihnen und mir soll niemand etwas von der Existenz des Testaments erfahren. Das beigefügte Exemplar ist das einzige, das es gibt, und Sie behalten es. Niemand weiß, daß Sie es haben. Ein sehr wichtiger Teil meines Plans.
    Sie kennen doch jenes Kapitel des Evangeliums, in dem erzählt wird, daß der Satan unseren Herrn Jesus Christus auf einen Berg führte, um ihn damit zu versuchen, daß er ihm die ganze Welt versprach.
    Wie angenehm ist es zu wissen, daß ich ein wenig von Satans Macht besitze und so in der Lage bin, jenen mit der ganzen Welt zu versuchen, den ich liebe (bezweifeln Sie, daß der Satan Christus geliebt hat? ich nicht). Die Betrachtung Ihres Dilemmas hat meine Gedanken in den letzten Jahren beträchtlich belebt, und je näher ich dem Sterben bin, desto verlockender werden meine Visionen. Was ich meine, werden Sie verstehen, wenn Sie das Testament gelesen haben. Während ich in der jenseitigen Hölle brenne, werden Sie in einer diesseitigen Hölle brennen, und die Flammen dieser Hölle werden entsetzlicher sein als irgendein Höllenfeuer, das Gott geschaffen haben kann. Oh, mein Ralph, ich habe Sie ja so wunderbar in der Folter! Mag ich nichts sonst gekonnt haben, auf eines habe ich mich seit jeher ausgezeichnet verstanden - jene, die ich liebe, leiden zu lassen. Und Sie sind ein bei weitem

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