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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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entzog sie ihm. »Nein, nicht heute nacht. Auf meinen Mund, Ralph! Küß mich auf den Mund, als ob wir ein Liebespaar wären!« Im strahlenden Schein des riesigen Kerzenhalters, in dem -jetzt zur Party - nicht weniger als vierhundert Wachskerzen brannten, sah sie den Widerwillen auf seinem Gesicht, den tiefen Abscheu: Und in diesem Augenblick empfand sie den Wunsch zu sterben, spürte ihn so stark, daß sie nicht mehr warten konnte. »Mary, ich bin Priester! Ich kann nicht!«
    Sie lachte schrill, gespenstisch. »Oh, Ralph, was für Talmi bist du doch! Talmi-Mann, Talmi-Priester! Und du hattest einmal die Tollkühnheit, mir deine Liebe anzubieten? Mit mir ins Bett gehen zu wollen!? Warst du denn so sicher, daß ich ablehnen würde? Wie sehr wünsche ich jetzt, ich hätte es getan! Meine Seele würde ich dafür geben, wenn sich dieser Abend zurückrufen ließe - nur um zu sehen, wie du es anstellen würdest, dich aus dieser Sache herauszuwinden! Talmi, Talmi, Talmi! Das ist alles, was du bist, Ralph! Eine Imitation, ein Schwindel, glatter Betrug! Nutzlos und impotent! Ja, impotent! Als Mann genauso impotent wie als Priester! Talmi!«
    Draußen war es noch nicht hell. Tiefe Dunkelheit herrschte, wie eine watteweiche, klebrig-dicke und sehr heiße Schicht schien sie auf Drogheda zu liegen. Die Feiernden wurden immer lauter, hier und dort klang es wie ein Krakeelen. Auf der
    Veranda erbrach sich jemand, langgezogene, widerwärtige Geräusche. Unter einem sogenannten Lampenputzerbaum konnte man undeutlich zwei Gestalten erkennen, wie ineinander verschränkt.
    Vorsichtig wich Pater Ralph ihnen aus und ging mit lautlosen Schritten über den kurzen, federnden Rasen. In welche Richtung er ging, wußte er nicht, und er achtete auch nicht darauf. Es trieb ihn ganz einfach fort. Wie in unerträglichem Schmerz flüchtete er davon, flüchtete vor jener furchtbaren alten Spinne, die so fest davon überzeugt schien, daß sie in dieser Nacht ihren Todeskokon spann. Diese Nacht, eine wunderschöne Nacht eigentlich! Heiß war es zwar auch um diese Stunde, aber längst nicht so heiß wie sonst zumeist. Ein leiser, träger Lufthauch regte sich, schwacher Duft von Rosen und von Boronia wurde spürbar, und jene eigentümliche himmlische Ruhe herrschte ringsum in der Natur, wie man sie wohl nur in tropischen und subtropischen Breitengraden kennt. O Gott, leben, wirklich zu leben! Die Nacht umarmen und leben und frei sein! Am anderen Ende der Rasenfläche blieb er stehen und blickte empor zum Himmel. Wie ein instinktives Suchen nach Gott war es, ein buchstäbliches Ausspähen nach ihm dort im Raum. Ja, irgendwo dort oben zwischen den funkelnden Lichtpunkten, die so rein und so unirdisch wirkten. Was war eigentlich Besonderes mit dem nächtlichen Himmel? Daß, wie von einer sonst verschlossenen Truhe, der blaue Deckel des Tages hochgeklappt worden war und der Mensch nun gleichsam einen Blick werfen konnte in die Ewigkeit? Nichts jedenfalls schien Menschen stärker von der Existenz der Zeitlosigkeit und der Existenz Gottes überzeugen zu können als der Anblick eines funkelnden Sternenhimmels.
    Sie hat recht, dachte er abrupt. Natürlich hat sie recht. Talmi bin ich, Lug und Betrug. Kein Priester, kein Mann. Nur jemand, der gern wüßte, wie er beides sein könnte. Nein! Nicht beides! Priester und Mann, sie können nicht miteinander existieren - Mann sein heißt: nicht Priester sein. Wie konnte ich mich nur in ihrem Netz verfangen? Welch ein Leichtsinn von mir! Ihr Gift ist stark, vielleicht stärker, als ich glaube. Was steht in dem Brief? Wie sehr sieht es Mary doch ähnlich, mir einen solchen Köder zuzuwerfen! Wieviel weiß sie, wieviel vermutet sie nur? Was gibt es zu wissen oder zu vermuten? Nichts als Einsamkeit; fruchtloses Sich-Mühen; und Zweifel und Schmerz. Immer und immer wieder Schmerz. Doch du irrst dich, Mary. Ich kann mich als Mann beweisen. Aber ich will es nicht. Über viele Jahre hinweg habe ich mir bewiesen, daß es kontrolliert, beherrscht, unterdrückt werden kann. Vom Friedhof her, jetzt hörte er es, kam ein Weinen. Wer konnte das sein? Nur Meggie natürlich. Er raffte seine Soutane hoch, schwang erst den einen, dann den anderen Fuß über das Eisengeländer hinweg. Irgendwie erschien es ihm nur natürlich, ja, unausweichlich, daß er Meggie in dieser Nacht noch einmal traf. Da es eine Konfrontation mit Mary, dem einen weiblichen Pol in seinem Dasein, gegeben hatte, mußte es unvermeidlich wohl auch zu einer Begegnung

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