Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
Vom Netzwerk:
den anderen Fuß hinweghob über das niedrige Geländer, wie sie davonschritt. So anmutig wirkte sie in ihrem von Rosenknospen übersäten Kleid und schon so sehr weiblich; irgendwie auch ein wenig unwirklich. Asche der Rosen. »Wie passend«, sagte er zu dem Marmorengel.
    Während er zurückging über die große Rasenfläche, konnte er hören, wie beim Herrenhaus Autos davondröhnten. Im Empfangsraum packten die Mitglieder der Band ihre Instrumente ein, Männer, die leicht taumelten, vom Alkohol und vor Erschöpfung. Müde Dienstmädchen versuchten, Ordnung zu schaffen.
    Pater Ralph blickte zu Mrs. Smith, schüttelte den Kopf. »Schicken Sie alle zu Bett, meine Liebe. Diese Arbeit erledigt sich viel leichter, wenn man frisch ist. Ich werde dafür sorgen, daß Mrs. Carson nichts dagegen hat.«
    »Möchten Sie vielleicht etwas zu essen haben, Pater?« »Guter Gott, nein! Ich gehe zu Bett.«
    Am späten Nachmittag berührte eine Hand seine Schulter. Er griff danach, blind, noch ohne die Kraft, die Augen zu öffnen; wollte seine Wange dagegen schmiegen. »Meggie«, murmelte er. »Pater, Pater! Oh, bitte, wachen Sie doch auf!«
    Es war Mrs. Smith. Beim Klang ihrer Stimme wurde er sofort hellwach, riß die Augen auf. Es entging ihm nicht, daß sie tief verstört war. »Was ist, Mrs. Smith?« »Es handelt sich um Mrs. Carson, Pater. Sie ist tot.« Ein Blick auf die Armbanduhr sagte ihm, daß es schon sehr später Nachmittag war, praktisch Abend: sechs Uhr. Noch benommen von der Trägheit, ja, Stumpfheit, in die ihn die Hitze des Tages versetzt hatte, schlüpfte er mit Mühe aus seinem Pyjama und dann in seine Priesterkleidung. Er legte sich eine schmale Purpurstola um den Hals, nahm das Öl für die Letzte Ölung, das Weihwasser, sein großes Silberkreuz und den Rosenkranz aus Ebenholzperlen. Keinen Augenblick kam ihm der Gedanke, daß Mrs. Smith etwa nicht recht haben könnte; er wußte, daß die Spinne tot war. Hatte sie vielleicht doch Selbstmord begangen - Tabletten geschluckt? Nun, dann mochte Gott geben, daß man das nicht entdeckte; daß weder von den Tabletten noch welche übrig waren, noch daß ein Arzt sonstwie Verdacht schöpfen konnte. Welchen Sinn das Spenden der
    Letzten Ölung haben sollte, wußte er nicht. Aber es mußte getan werden. Wenn er es unterließ, konnte es womöglich zu einer Obduktion oder dergleichen kommen, jedenfalls Komplikationen geben. Und doch hatte das nichts mit seinem plötzlichen Selbstmordverdacht zu tun: Die Vorstellung, Mary Carsons Körper mit dem heiligen Öl zu salben, war ihm zutiefst zuwider.
    Ja, sie war tot, gar kein Zweifel: Innerhalb weniger Minuten nach dem Zubettgehen mußte sie gestorben sein, vor nunmehr gut fünfzehn Stunden. Bei festverschlossenen Fenstern wirkte die Luft im Zimmer ungemein feucht, was Wunder - Mary Carson hatte stets darauf bestanden, daß in alle möglichen Winkel ihres Schlafzimmers große, flache Schalen mit Wasser gestellt wurden, weil die verdunstende Flüssigkeit ihre Haut angeblich jung erhielt. Ein eigenartiges Geräusch war in der Luft, und nach einigen Sekunden begriffslosen Sich-Wunderns wurde ihm bewußt, daß da Fliegen summten. Schwärme von Fliegen, lärmendes Volk, das sich auf der Leiche tummelte.
    »Um Himmels willen, Mrs. Smith, machen Sie die Fenster auf!« keuchte er und trat mit bleichem Gesicht näher zum Bett. Die Totenstarre war längst vorbei. Sie lag wieder schlaff, widerlich schlaff. Die blicklosen Augen wirkten gesprenkelt, die dünnen Lippen fast schwarz; und überall auf dem toten Körper waren Fliegen, Massen von Fliegen. Wieder und wieder mußte Mrs. Smith sie fortscheuchen, während der Priester, lateinische Worte murmelnd, die Letzte Ölung spendete. Was für eine Farce! War sie nicht verdammt? Und dieser Geruch! Sie roch schlimmer als ein Pferdekadaver draußen in der frischen Luft auf einer Koppel. Auch jetzt, da sie tot war, schrak er vor einer Berührung mit ihr genauso zurück wie zuvor, als sie noch gelebt hatte. Vor allem ihre Lippen, von Fliegenstichen übersät, widerlich - innerhalb weniger Stunden würde ihr Mund, ihr ganzer Körper eine Masse wimmelnder Maden sein. Endlich war er fertig. Er richtete sich auf. »Gehen
    Sie sofort zu Mr. Cleary, Mrs. Smith. Er soll die Jungen umgehend einen Sarg zimmern lassen. Es ist einfach nicht Zeit genug, um von Gilly einen herzuschicken - sie verfault uns ja vor den Augen. Allmächtiger Gott! Mir ist übel. Ich werde ein Bad nehmen und meine Kleider draußen vor

Weitere Kostenlose Bücher