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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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die Chance, einmal Kardinal de Bricassart zu werden. Gegen Paddy Cleary, seine Frau, seine Söhne - und gegen Meggie. Mit welch diabolischer Schärfe hatte sie ihn durchschaut, die alte Spinne! Und mit welch diabolischer Präzision hatte sie alles kalkuliert! Hätte sie Paddy alles genommen, so wäre der Weg für Ralph de Bricassart klar vorgezeichnet gewesen: zum nächsten Herd, und hinein mit dem verfluchten Papier ins brennende Feuer, ohne das geringste Zögern, ohne irgendein Bedauern. Aber nein, dazu war sie viel zu raffiniert gewesen. Sie hatte dafür gesorgt, daß Paddy nie Not leiden würde; daß es ihm hier jetzt besser gehen mußte, als es ihm je zu ihren Lebzeiten gegangen war; daß er Drogheda nie ganz verlieren konnte. Gewiß, der Besitztitel würde nicht auf ihn übergehen, auch Gewinne würde er nicht einstreichen, doch das Land als solches blieb praktisch sein. Der Verwalter von Drogheda: ein geachteter, angesehener Mann, dem es an nichts mangelte, der insgesamt mit seinem Leben recht zufrieden sein konnte. Und Meggie? Was für ihren Vater und die Familie galt, galt auch für sie: Wie alle Clearys würde sie soweit wohlversorgt sein, würde nie Not leiden müssen, würde jedoch - hier im Gilly-Distrikt - auch nie Miß Cleary sein können, nämlich einer Miß Carmichael und ihresgleichen gesellschaftlich ebenbürtig. Recht geachtet, gewiß, gesellschaftlich auch leidlich akzeptabel, jedoch nie vom gleichen obersten Rang.
    Dreizehn Millionen Pfund. Die Chance, herauszukommen aus Gillanbone, das Kümmerdasein hier abzustreifen, einen Platz zu erlangen in der Hierarchie der Kirchenadministration, sich das Wohlwollen Gleich- und Höherrangiger zu sichern. Und all das, solange er noch jung genug war, verlorenen Boden wieder aufzuholen. Wie hatte er damals zu Mary Carson gesagt? »Gillanbone gehört kaum zu jenen Gefilden, aus denen der Erzbischof Kandidaten für eine etwaige apostolische Legatschaft rekrutiert.« Nun, das war jetzt mit einem Schlag anders: mit jenem Meisterstreich, den Mary Carson geführt hatte, um Vergeltung zu üben. Jetzt konnte - und würde - Gillanbone sehr wohl in den Mittelpunkt gewisser erzbischöflicher Überlegungen und Erwägungen rücken, und die Ausläufer dieser Flutwelle mochten sogar den Vatikan erreichen - würden es sogar mit Sicherheit tun. Denn auch wenn die Kirche reich war: Dreizehn Millionen Pfund blieben dreizehn Millionen Pfund. So etwas wischte man nicht einfach vom Tisch, auch die Kirche nicht. Und nur durch ihn und über ihn, Ralph de Bricassart, konnte sie in den Besitz dieses Vermögens gelangen, das hatte Mary Carson sozusagen schwarz auf weiß festgehalten, ein für allemal. Er wußte, daß Paddy das Testament nie anfechten würde, und das hatte auch Mary Carson gewußt, Gott verdamme sie. Gewiß, Paddy würde vor Zorn außer sich sein, würde nichts mehr mit ihm zu tun haben wollen. Aber dabei würde es auch bleiben. Nie würde er sich dazu hinreißen lassen, mit einer Klage vor Gericht zu ziehen. Welche Entscheidungen galt es zu treffen? Aber wußte er es nicht? Hatte er, als er das Testament las, nicht sofort gewußt, was er tun würde? Die Tränen waren getrocknet. Der Priester erhob sich, stand einen Augenblick; vergewisserte sich, daß sein Hemd ordentlich saß; ging dann zur Tür. Ja, er mußte nach Gilly, um eine Soutane und die anderen unerläßlichen Gewänder zu holen. Aber zuvor wollte er noch einmal Mary Carson sehen.
    Trotz der geöffneten Fenster war der üble, der widerliche Geruch inzwischen zum durchdringenden Gestank geworden. Mit festen Schritten trat der Pater auf das Bett zu und stand und blickte hinab auf die Tote. Ihre ohnehin fetten Arme und Hände wirkten geschwollen, ja, ganz buchstäblich gebläht, grünliche Flecken schimmerten, die Haut ging offenbar zum Teil in Verwesung über. O Gott. Du widerliche alte Spinne. Du hast gesiegt, aber was für ein Sieg ist das. Der Triumph einer zerfallenden menschlichen Karikatur über eine andere. Doch über meine Meggie kannst du nicht triumphieren, und du kannst ihr auch nicht fortnehmen, was dir ja nie gehört hat. Mag sein, daß ich in der Hölle an deiner Seite brennen werde, doch ich weiß, welche innere Hölle dir zugedacht ist: meine Gleichgültigkeit dir gegenüber ertragen zu müssen, während wir beide im ewigen Feuer brennen ...
    Paddy wartete unten in der Diele auf ihn. Er wirkte tief verstört. »Oh, Pater!« sagte er, näherkommend. »Ist das nicht furchtbar? Was für ein

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