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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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Schock! Ich hätte nie gedacht, daß sie so plötzlich sterben würde. Gestern nacht ging es ihr doch noch so gut! Allmächtiger, was soll ich tun?«
    »Haben Sie sie schon gesehen?« »Himmel hilf - ja!«
    »Dann wissen Sie ja, was zu tun ist. Noch nie habe ich eine Leiche gesehen, bei der so schnell die Verwesung eingesetzt hat. Wenn Sie sie nicht innerhalb der nächsten Stunden richtig in irgendeiner Art Behälter unterbringen, werden Sie sie mehr oder minder buchstäblich zusammenkratzen müssen. Sie muß gleich morgen früh begraben werden. Verschwenden Sie keine Zeit darauf, ihren Sarg zu verschönern; bedecken Sie ihn mit Gartenrosen oder dergleichen. Und machen Sie schnell, Mann! Ich muß nach Gilly, um Gewänder zu holen.«
    »Kommen Sie zurück, so schnell Sie können, Pater!« bat
    Paddy. Doch Pater Ralph brauchte für seine Fahrt mehr Zeit, als durch ein kurzes Aufsuchen des Pfarrhauses zu erklären gewesen wäre. In der Tat: Bevor er überhaupt zum Pfarrhaus fuhr, lenkte er sein Auto in eine der etwas vornehmer wirkenden Seitenstraßen von Gillanbone, und das Gebäude, vor dem er hielt, nahm sich mit seinem sehr gepflegten Garten recht imposant aus.
    Harry Gough hatte sich gerade zum Dinner niedergelassen, doch als ihm das Dienstmädchen den Besucher meldete, kam er sofort in den Salon. »Pater, möchten Sie vielleicht mit uns speisen? Corned Beef und Kohl, und dazu gekochte Kartoffeln und Petersiliensoße. Das Fleisch ist ausnahmsweise einmal nicht zu salzig.«
    »Nein, Harry, ich kann nicht bleiben. Ich bin nur gekommen, um Ihnen zu sagen, daß heute morgen Mary Carson gestorben ist.«
    »Guter Gott! Ich war doch gestern nacht dort! Und sie wirkte so wohlauf, Pater!«
    »Ich weiß. Als ich sie so gegen drei Uhr die Treppe hinaufbegleitete, fehlte ihr auch nichts. Doch sie muß fast im gleichen Augenblick verschieden sein, als sie sich ins Bett legte. Mrs. Smith entdeckte sie heute abend um sechs. Doch inzwischen war Mary Carson schon so lange tot, daß sie grauenvoll aussah. Wegen der geschlossenen Fenster hatte ihr Zimmer, bei der Tageshitze, wie ein Brutkasten gewirkt. Allmächtiger Gott, ich kann nur darum beten, daß die Erinnerung an ihren Anblick wieder aus meinem Gedächtnis getilgt wird! Unbeschreiblich, Harry, entsetzlich!«
    »Sie wird morgen bestattet werden?«
    »Das läßt sich kaum umgehen.«
    »Wie spät ist es? Zehn? Bei dieser Hitze müssen wir so spät zu Abend essen wie die Spanier, aber jedenfalls brauchen wir uns nicht zu sorgen, daß es zu spät sein könnte, um noch Leute anzurufen. Möchten Sie, daß ich das für Sie übernehme, Pater?«
    »Danke, Harry, das wäre sehr freundlich. Ich bin nur nach Gilly gekommen, um Meßgewänder zu holen. Als ich zu der Party fuhr, habe ich wirklich nicht geglaubt, daß ich eine Totenmesse würde lesen müssen. Ich muß so schnell wie möglich nach Drogheda zurück, man braucht mich dort. Die Totenmesse wird morgen früh um neun gehalten werden.«
    »Sagen Sie Paddy, daß ich das Testament gleich mitbringen werde, so daß ich mich unmittelbar nach der Bestattung damit befassen kann. Auch Sie sind darin bedacht, Pater, und es wäre mir lieb, wenn Sie bei der Testamentseröffnung anwesend wären.«
    »Ich fürchte, da gibt es ein gewisses Problem, Harry. Sehen Sie, Mary hat noch ein Testament gemacht. In der Nacht, nachdem sie die Party verlassen hatte, gab sie mir einen versiegelten Umschlag, und ich mußte ihr versprechen, das Kuvert zu öffnen, sobald ich mich mit eigenen Augen davon überzeugen konnte, daß sie tot war. Als ich es dann öffnete, entdeckte ich, daß es ein neu aufgesetztes Testament enthielt.«
    »Mary hat ein anderes Testament gemacht? Ohne mich?«
    »Es scheint so. Ich glaube, das war eine Sache, die sie sich sehr lange hatte durch den Kopf gehen lassen. Weshalb sie allerdings ein solches Geheimnis daraus machte, weiß ich nicht.«
    »Haben Sie es jetzt bei sich, Pater?«
    »Ja.« Der Priester holte die zusammengefalteten Papierblätter hervor.
    Der Anwalt zögerte keinen Augenblick, das Testament zu lesen. Als er damit fertig war, hob er den Kopf, und in seinen Augen zeigte sich vieles, was Pater Ralph dort lieber nicht gesehen hätte. Bewunderung zwar, doch auch Zorn und eine gewisse, unverkennbare Verachtung. »Nun, Pater, meine
    Gratulation! Da haben Sie den Batzen also doch bekommen.« Er konnte es sich erlauben, so etwas zu sagen: Er war kein Katholik.
    »Glauben Sie mir, Harry, für mich war die Überraschung

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