Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
Vom Netzwerk:
dafür bekannt, daß er besonders gern frühmorgens bockte, und im übrigen gehörte es zu seinen ganz persönlichen Eigenarten, nach dem Kopf des Reiters zu schnappen, kaum daß dieser absaß.
    Solange ein Mann zu Pferde war, ließ sich seine Körpergröße schwer schätzen. Australische Viehtreiber benutzten kleine englische Sättel, ohne den hohen Hinterzwiesel und das sogenannte Horn, wie man sie bei amerikanischen Sätteln fand, und sie saßen sehr aufrecht mit stark hochgezogenen Knien. Der neue Mann wirkte zwar recht groß, aber der Typ des Sitzriesen, bei dem alle Länge im Rumpf lag, war gar nicht so überaus selten, und dieser erste Eindruck mochte also trügen.
    In manchem unterschied er sich allerdings auf den ersten Blick von den meisten Viehtreibern. Er trug ein weißes Hemd und weiße Moleskins, Hosen aus sogenanntem Englischleder, das in Wirklichkeit ein sehr festes Baumwollgewebe war. Das übrige schien aus grauem Flanell und grauem Twill zu sein. Aha, ein Dandy, dachte Meggie amüsiert. Nun, dann alles Gute, solange ihm das viele Waschen und Bügeln nicht über wird.
    »N’Tag, Missus!« rief er, als sie nicht mehr weit voneinander entfernt waren. Er zog seinen zerbeulten grauen alten Filzhut und setzte ihn sich dann so auf, daß er verwegen auf seinem Hinterkopf balancierte. Lachende blaue Augen musterten Meggie mit unverhohlener Bewunderung.
    »Nun, Sie sind mit Sicherheit nicht die Missus, also müssen Sie die Tochter sein«, sagte er. »Ich bin Luke O’Neill.«
    Meggie murmelte irgend etwas und vermied es, ihn anzusehen. So verwirrt und so ärgerlich war sie, daß es ihr unmöglich schien, mit diesem Mann dort ein paar
    Alltagsfloskeln zu tauschen. Aber es war auch nicht fair, nein, ganz und gar nicht! Wie konnte sich jemand unterstehen, solche Augen und ein solches Gesicht zu haben wie Pater Ralph! Aber die Ähnlichkeit lag nur im Was, nicht im Wie. Denn wie er blickte, wie er sie ansah, das war ganz seine eigene Art und hatte mit Pater Ralph nichts zu tun. Es fehlte jener Ausdruck von Liebe, mit dem Ralph de Bricassart sie immer ansah - auch damals schon angesehen hatte, als er sich, im Staub des Bahnhofsplatzes von Gillanbone, zu dem kleinen, wie verloren dastehenden Mädchen gebeugt hatte.
    In seine Augen blicken und nicht ihn sehen, das war ein grausamer Scherz, eine grausame Strafe.
    Ohne Meggies Gedanken auch nur im entferntesten zu ahnen oder auch nur ahnen zu können, ritt Luke O’Neill auf seinem bösartigen Braunen neben ihrer handfrommen Stute durch die Furt des Creek, dessen Wasser nach so viel Regen noch immer ziemlich hoch stand. O ja, sie war bildhübsch, vielleicht sogar schön! Dieses Haar! Was bei den männlichen Clearys nichts war als ein Karottenrot, das war bei ihr - na, jedenfalls etwas ganz anderes. Wenn sie ihm nur eine Chance geben wollte, ihr Gesicht besser zu sehen - und im selben Moment tat sie’s. Sah ihn auf eine solche Weise an, daß er, verwirrt, unwillkürlich seine Augenbrauen zusammenzog, sah ihn an ... nein, nicht so, als ob sie ihn haßte, aber als ob sie versuchte, etwas zu sehen, was sie nicht sehen konnte, oder als ob sie etwas gesehen hatte, was sie nicht hatte sehen wollen, oder irgend so was. Machte ihr jedenfalls zu schaffen, soviel war klar.
    Nun ließ sich allerdings nicht gerade behaupten, daß Luke O’Neill es gewohnt war, von weiblichen Augen gleichsam gewogen und für zu leicht befunden zu werden. Sie jedoch, tat sie nicht eben dies? Dennoch wandte sie, allem vermutlichen Mißvergnügen und aller Enttäuschung zum Trotz, den Blick nicht von ihm ab. Sie betrachtete, mehr noch, sie beobachtete ihn. Ihr Mund, ein zartes Rot, war leicht geöffnet, auf der
    Oberlippe und auf der Stirn stand wie in winzigen Tautropfen Schweiß, absolut normal bei dieser Hitze, und ihre rötlichgoldenen Augenbrauen waren gleichsam hochgehoben zu Bögen verkörperter Verwunderung.
    Lächelnd entblößte er Pater Ralphs große weiße Zähne. Doch das Lächeln, nein, das war nicht das von Pater Ralph. »Sie sehen genauso aus wie ein Baby«, sagte er. »Lauter Ohs und Ahs.«
    Sie blickte zur Seite. »Tut mir leid, ich wollte Sie nicht anstarren. Sie haben mich an jemanden erinnert, das ist alles.« »Starren Sie nur, soviel Sie wollen. Dann sehe ich Ihren Kopf wenigstens nicht nur von oben oder von hinten, so hübsch er gewiß auch aus dieser Sicht ist. An wen erinnere ich Sie?« »An niemanden, der wichtig wäre. Es ist nur seltsam, jemanden zu sehen, der einem so

Weitere Kostenlose Bücher