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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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einfach nicht daran gedacht, sich für die Partys und Bälle Kleider machen zu lassen. Und ausgeführt worden war sie bisher ja noch nie, denn Männer wie Enoch Davies und Alastair MacQueen ließen sich durch ein entschiedenes Nein schnell entmutigen. Ihnen fehlte die Unverfrorenheit eines Luke O’Neill.
    Als sie sich im Spiegel betrachtete, dachte sie: Vielleicht fahre ich nächste Woche mit, wenn Mum ihren üblichen Abstecher nach Gilly macht. Muß dort mal mit der alten Gert reden, ob die mir nicht bald ein paar neue Sachen schneidern kann.
    Denn es widerstrebte ihr, dieses Kleid zu einer solchen Gelegenheit zu tragen. Hätte sie noch eines besessen, das auch nur annähernd brauchbar war, so wäre sie mit Sicherheit nie in dieses hier geschlüpft. Es gehörte zu einer anderen Zeit und zu einem anderen schwarzhaarigen Mann. Und all das, was sich mit diesem Kleid verband, Liebe und Träume, Einsamkeit und Tränen, ließ es wie eine Entweihung erscheinen, das Kleid für so einen wie Luke O’Neill zu tragen.
    Sie war es inzwischen gewohnt, ihre Gefühle zu verbergen und äußerlich stets ruhig und zufrieden zu erscheinen. Selbstkontrolle, ja, ohne die ging es sicher nicht. Doch dieses eiserne Sichselbstbezwingen glich einer Hülle, die immer dichter und dicker um sie herumwuchs wie die Rinde an einem Baum, und manchmal dachte sie, spätabends in ihrem Bett, an ihre Mutter und schauderte unwillkürlich zusammen.
    Würde es bei ihr irgendwann auch so sein wie bei Mum: abgeschnitten von allen Gefühlen? Hatte es bei Mum damit begonnen, als, vor langer Zeit, noch Franks Vater in ihrem Leben gewesen war? Ja, Meggie wußte. Im Grunde wußte sie es seit jenem furchtbaren Streit zwischen Daddy und Frank im Pfarrhaus von Gillanbone. Sie hatte die Szene nie vergessen. Inzwischen war sie alt genug geworden, um zu begreifen, daß es sich mit dem Wachsenlassen von Babys nicht ganz so verhielt, wie sie lange geglaubt hatte. Es gab da irgendeinen körperlichen Kontakt zwischen Mann und Frau, der aber nur bei Ehepaaren erlaubt war. Was hatte die arme Mum, Franks wegen, wohl nicht alles an Demütigungen und Erniedrigungen ertragen müssen!? Kein Wunder, daß sie so war, wie sie war. Wenn ihr, Meggie, je so etwas zustieße, würde sie lieber sterben wollen.
    In den Büchern bekamen immer nur die niedrigsten, billigsten Mädchen uneheliche Kinder. Aber an Mum war nichts Niedriges, Billiges, konnte auch nie gewesen sein.
    Noch vor dem Spiegel stehend, dachte Meggie mit einem Seufzen: Wenn man doch nur irgendwie an sie herankönnte, vielleicht könnte ich ihr ja irgendwie helfen. Aber man kommt nicht an sie heran, und sie von sich aus versucht’s schon gar nicht.
    Hoffentlich passiert mir das nur nie, was ihr passiert ist. Das wäre furchtbar.
    Wieder betrachtete sie sich in ihrem Asche-der-Rosen-Kleid, und sie sah es, sie spürte es, daß sie jung war, so herrlich jung. Und was sie jetzt erfüllte, das waren keine irgendwie formulierten Gedanken, das war ein Drängen, ein Sehnen, ein Verlangen, fast unwiderstehlich, der Wunsch, von Gefühlen mitgerissen, ja umgerissen zu werden wie von einem starken heißen Wind.
    Nein, sie wollte kein Automat sein, der das Leben absolvierte wie ein Pflichtprogramm. Nur nicht dieses grauenvolle ewige Einerlei. Vitalität wollte sie spüren. Und Liebe. Ja, Liebe. Einen Ehemann haben und Kinder. Was für einen Sinn hatte es, sich nach jemandem zu sehnen, den man nie, nein, niemals haben konnte? Er wollte sie nicht und würde sie niemals wollen. Zwar hatte er gesagt, daß er sie liebte, aber nicht so, wie ein Ehemann sie lieben würde. Weil er mit der Kirche verheiratet war. Hielten andere Männer das auch so? Liebten ein unbelebtes Etwas mehr, als sie eine Frau lieben konnten? Nun, bestimmt nicht alle Männer. Hauptsächlich wohl die schwierigen, die komplexen und komplizierten, jene, die von Fragen und Zweifeln gequält wurden, die darin umhertrieben wie in einem uferlosen Meer. Aber es mußte auch andere Männer geben, Männer, die eine Frau liebten vor allem anderen. Männer wie Luke O’Neill zum Beispiel.
    »Ich glaube, Sie sind das schönste Mädchen, das ich je gesehen habe«, sagte Luke, als er den Rolls anließ.
    Komplimente waren nicht eben das, was zu Meggies Alltagskost gehörte. Sie warf ihm einen verblüfften Blick zu und schwieg. Luke schien über ihre ausbleibende Reaktion nicht im mindesten beunruhigt. »Ist das nicht großartig?« fragte er. »Man braucht nur einen Schlüssel zu drehen

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