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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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Pater Ralph mit dem gleichen Mund so gelächelt hatte, während Luke so lächelte; daß in Pater Ralphs intensiv blauen Augen eine ferne Stille war, während in Lukes Augen ratlose Leidenschaftlichkeit glitzerte.
    Sie war jung und hatte die Liebe noch nie richtig geschmeckt, wenn sie denn überhaupt schon, für ein oder zwei kurze Augenblicke, davon gekostet hatte. Aber sie wollte mehr. Sie wollte den vollen Geschmack, wollte das Labsal, den Genuß, oder wie immer man es nennen mochte. Sie sehnte sich nach der Fülle, der Überfülle, wollte eintauchen darin, ganz tief, bis ihr schwindlig wurde, bis ihr buchstäblich die Sinne schwanden. Pater Ralph war jetzt Bischof Ralph - nein, Bischof de Bricassart. Und nie würde er zu ihr zurückkommen. Für dreizehn Millionen Silberlinge hatte er sie verkauft, und das brannte, das schmerzte tief. Hätte nicht in jener Nacht beim artesischen Brunnen er selbst diesen Ausdruck gebraucht, es wäre ihr nie eingefallen, Fragen zu stellen, in Frage zu stellen. Aber er hatte ihn gebraucht, und fast zahllos waren die Nächte inzwischen, in denen dieser Gedanke sie verfolgte, in denen sie grübelte und grübelte. Tanzte sie mit Luke und spürte sie, bei einem Walzer etwa, unter ihrer Hand seinen Rücken, so fühlte sie sich durch diese Berührung und seine eigentümliche, wie knisternde Vitalität unleugbar erregt. Nicht, daß sie je in ihrem Körper jenes dunkle, gleichsam flüssige Feuer gespürt hätte, das nach ihm verlangte, nur nach ihm. Auch dachte sie nie, sie werde vor Schmerz und Sehnsucht umkommen, falls sie ihn vielleicht nicht wiedersah. Sein Blick löste bei ihr durchaus nicht unwiderstehlich ein Kribbeln, Zittern und Zucken aus. Immerhin hatte sie inzwischen auch eine ganze Reihe anderer Männer etwas besser kennengelernt, und zwar bei den Tanzveranstaltungen und ähnlichem, wohin Luke mit ihr fuhr. Es waren Männer wie Enoch Davies, Liam O’Rourke, Alastair MacQueen. Und keiner von ihnen, so stellte sie fest, wirkte auf sie so wie Luke O’Neill. Besaßen sie seine Größe, so fehlten ihnen seine Augen. Hatten sie die gleichen Augen, so bestimmt nicht sein Haar. Da war etwas, das ihnen fehlte, immer war das so, bei allen. Luke jedoch besaß es, ohne daß Meggie hätte sagen können, was es denn eigentlich war, außer seiner Ähnlichkeit mit Ralph de Bricassart, und das war nicht das einzige, konnte einfach nicht das einzige sein. Sie unterhielten sich viel miteinander, doch stets über sehr allgemeine Dinge: über das Land, die Schafe, die Schur; über das, was er sich vom Leben erhoffte; vielleicht auch über Städte und Landschaften, die er gesehen hatte, oder über irgendein politisches Ereignis. Ab und zu las er auch ein Buch, doch daß er leidenschaftlich gern las, wie Meggie, ließ sich nicht behaupten, und es gelang ihr eigentlich nie, ihn zum Lesen dieses oder jenes Buches zu überreden, das sie gerade besonders interessant gefunden hatte. Auch irgendwelche intellektuellen Höhenflüge gab es bei Gesprächen mit ihm nicht. Was sie jedoch wirklich störte, war dies: Nie zeigte er Interesse an ihrem Leben oder fragte, was sie sich vom Leben erhoffte. Manchmal verlangte es sie sehr danach, über Dinge zu sprechen, die ihrem Herzen weit näher waren als Schafe oder Regen. Doch wenn sie dazu auch nur ansetzte, so bog er das regelmäßig geschickt ab.
    Luke O’Neill war ebenso gescheit wie eingebildet. Außerdem war er ein Mann, der ungewöhnlich hart arbeitete und danach hungerte, reich zu werden.
    Er stammte aus Western Queensland, wo seine Familie bei Longreach in einer Art Lehmhütte gewohnt hatte, die genau auf dem Wendekreis des Steinbocks lag. Sein Vater, aus einer wohlhabenden irischen Familie, galt dort als das schwarze Schaf, und was immer er im einzelnen auf dem Kerbholz haben mochte, seine Angehörigen verziehen es ihm jedenfalls nicht. Seine Mutter war die Tochter des deutschen Metzgers in Winton, und als sie es sich nicht ausreden ließ, Luke senior zu heiraten, wollte ihre Familie dann genausowenig von ihr wissen, wie seine Familie von ihm.
    Zehn Kinder wuchsen in der Lehmhütte auf, und keines von ihnen besaß ein Paar Schuhe, was bei dem Klima dort allerdings kaum ins Gewicht fiel. Luke senior verdiente als Schafscherer sein Geld, sofern er sich dazu aufgelegt fühlte. Viel lieber allerdings beschränkte er seine Aktivitäten auf das Konsumieren von hochprozentigem Schnaps. Er kam bei einem Brand in der Blackall Pub um, als Luke junior gerade zwölf

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