Die Dornenvögel
Hoffentlich kriegt das arme Dingelchen später nicht auch noch eine Million Sommersprossen, aber sie wird wohl kaum drum herumkommen, fürchte ich.« »Wer weiß. Meggie ist ja auch so eine Art Rotschopf, und sie hat überhaupt keine Sommersprossen. Allerdings ist ihre Haut auch anders, der Teint, meine ich, die Tönung - mehr milchig.« Er legte die inzwischen leere Flasche aus der Hand, setzte das Baby aufrecht auf sein Knie, so daß es ihm das Gesicht zuwandte, und ließ es dann, während er ihm gleichzeitig mit festen rhythmischen Bewegungen den Rücken rieb, einige Verbeugungen vollführen. »Zu meinen Pflichten gehört es auch, katholische Waisenhäuser zu besuchen, daher bin ich gar nicht so unbewandert im Umgang mit Babys. Mutter Gonzaga in meinem Lieblingskinderheim hat mir oft genug erklärt, daß dies die beste Art und Weise ist, ein Baby sein Bäuerchen machen zu lassen: Die Luft kann raus, und die Milch bleibt drin.« Wie eigens zum Beweis machte Justine mehrmals ihr Bäuerchen, ohne daß etwa wieder ein Schwall Milch hervorkam. Er lachte, rieb ihr mit der Hand wieder über den
Rücken und legte sie sich, als nichts weiter geschah, vorsichtig in die Ellbogenbeuge. »Was für fabulöse exotische Augen! Phantastisch, nicht wahr? Nun, bei Meggie muß man wohl immer mit etwas Besonderem rechnen.« »Sie hätten einen großartigen Vater abgegeben, Exzellenz, gar kein Zweifel.«
»Ich mag Kinder nun mal, hab’ sie immer schon gemocht. Ist ja auch leichter für mich, meine Freude an ihnen zu haben, da die weniger angenehmen Vaterpflichten für mich entfallen.« »Ich glaube eher, das kommt daher, daß Sie wie Luddie sind. Es ist etwas Weibliches in Ihnen.«
Justine, sonst gegen alle Welt abgekapselt und in sich selbst zurückgezogen, schien seine Sympathie zu erwidern. Sie war in seinem Arm eingeschlafen. Ralph kuschelte sie noch enger an sich und zog dann ein Päckchen Capstan-Zigaretten aus seiner Hosentasche. »Geben Sie nur her«, sagte Anne. »Ich zünde eine für Sie an.« »Wo ist Meggie?« fragte er und nahm die Zigarette entgegen. »Danke. Bedienen Sie sich doch auch.«
»Meggie? Meggie ist nicht hier. Sie hat sich von der Entbindung damals nie so richtig erholt, und die Feuchte schien ihr dann sozusagen den Rest zu geben. Deshalb haben Luddie und ich sie für zwei Monate in Urlaub geschickt. So um den 1. März müßte sie wieder hier sein, in rund sieben Wochen also.«
Sie spürte sofort, daß eine Wandlung in ihm vorging: das Platzgreifen einer tiefen Enttäuschung, das schroffe Zunichtewerden von Vorfreude und Freude.
Er atmete tief. »Es ist das zweite Mal, daß ich komme, um ihr Adieu zu sagen, und sie nicht antreffe ... Damals Athen ... und jetzt wieder ... Über ein Jahr war ich seinerzeit fort, und es hätte viel länger dauern können, das wußte ich damals nicht. Seit Paddys und Stuarts Tod hatte ich Drogheda nie wieder besucht, aber als es dann soweit war, entdeckte ich, daß ich Australien nicht verlassen konnte, ohne Meggie noch einmal zu sehen. Sie hatte inzwischen geheiratet und war von Drogheda fortgegangen. Zuerst dachte ich daran, sie dort aufzusuchen, wo sie sich nun befand. Doch ich wußte, daß das nicht fair gewesen wäre, weder ihr noch Luke gegenüber. Diesmal kam ich, weil ich sicher war, dort keinen Schaden anrichten zu können, wo - wo offenbar nichts ist.« »Wo gehen Sie diesmal hin?«
»Nach Rom, zum Vatikan. Kardinal di Contini-Verchese hat die Pflichten des Kardinals Monteverdi übernommen, der vor kurzem verstorben ist. Und er ruft mich jetzt zu sich, ganz wie ich es erwarten durfte. Das ist eine hohe Auszeichnung, aber noch mehr als nur das. Ich kann mich nicht weigern, dem Ruf zu folgen.« »Wie lange werden Sie fort sein?«
»Oh, sehr, sehr lange, fürchte ich. In Europa sieht es doch sehr nach Krieg aus, und deshalb braucht die Kirche in Rom jeden verfügbaren Diplomaten. Dank Kardinal di Contini- Verchese werde ich als solcher eingestuft. Mussolini ist eng mit Hitler verbündet, gleiche Brüder, gleiche Kappen, und irgendwie muß es dem Vatikan gelingen, zwischen Faschismus und Katholizismus, so gegensätzlich sie auch immer sind, einen Zustand der Koexistenz zu schaffen. Leicht wird das gewiß nicht sein. Ich spreche sehr gut deutsch, griechisch habe ich gelernt, als ich in Athen, und italienisch, als ich in Rom war. Außerdem spreche ich fließend französisch und spanisch.« Er seufzte. »Für Sprachen habe ich seit jeher eine Begabung besessen, und
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