Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
Vom Netzwerk:
oder Sheridan.
    Justines Wohnung eingeschlossen, gab es in Bothwell Gardens sechs Wohnungen: Hinzu kam allerdings noch die Wohnung von Mrs. Devine, der Wirtin. Mrs. Devine war eine fünfundsechzigjährige Londonerin mit vorstehenden Augen sowie einer gewaltigen Verachtung für Australien und die Australier. Dennoch schien sie keineswegs darüber erhaben, sie nach allen Regeln der Kunst auszunehmen, und ihre Hauptsorge war es offenbar, genauestens über die Preise für Gas und elektrischen Strom informiert zu sein. Ihre Hauptschwäche hingegen war ein junger Engländer, Justines Wohnungsnachbar, der sich denn auch nicht im mindesten scheute, seine Staatsangehörigkeit gehörig für sich auszubeuten. »Warum soll ich der alten Schachtel nicht ab und zu ein bißchen Hilfestellung geben, wenn sie in Erinnerungen schwelgt«, sagte er zu Justine. »Dadurch halte ich sie mir vom Hals, wissen Sie. Ihr Mädchen durftet ja nicht mal im Winter einen elektrischen Heizapparat benutzen, aber mir gab sie einen im Sommer, und natürlich zu meiner freien Verfügung!«
    »Schlemier!« sagte Justine, doch sie sagte es völlig leidenschaftslos. Er hieß Peter Wilkins und war irgend so etwas wie ein Handelsreisender. »Sie sind bei mir jederzeit zu einem Tee willkommen«, sagte er, und die so eigentümlich hellen Augen schienen ihn sehr zu faszinieren.
    Justine akzeptierte die Einladung, als die eifersüchtige Mrs. Devine nicht in der Nähe war, und später gewöhnte sie sich daran, ihn von sich abzuwehren, wobei ihr all die körperliche Fitness, die sie hauptsächlich Drogheda verdankte, denn doch sehr von Nutzen war. »Gottverdammt noch mal, Justine!« keuchte Peter und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht -
    Schweiß oder Tränen, wer wollte es wissen? »Gib doch endlich nach, Mädchen! Irgendwann verlierst du’s ja doch! Wir sind nicht mehr im viktorianischen England, und niemand erwartet von dir, daß du dir’s für die Ehe aufhebst.« »Ich habe auch gar nicht die Absucht, mir’s für die Ehe aufzuheben«, erwiderte sie. »Ich weiß nur noch nicht, wer die Ehre haben wird, das ist alles.«
    »Du bist nicht einmal zum Herzeigen!« sagte er böse. Sie hatte ihn tief gekränkt.
    »Nein, das bin ich sicher nicht. Aber wenn du glaubst, mich mit Worten verletzen zu können, so irrst du dich. Es gibt eine Menge Männer, die einen wahren Freudentanz aufführen, wenn sie eine Jungfrau bekommen können.«
    »Auch eine Menge Frauen. Achte nur auf die vordere Wohnung.« »Oh, das tu’ ich, das tu’ ich«, sagte Justine.
    Die beiden Frauen in der »vorderen Wohnung« waren Lesbierinnen, und die anfangs versteckten Winke, dem »Club« beizutreten, hatte Justine zuerst gar nicht so recht begriffen. Als die Aufforderungen dann völlig unzweideutig wurden, zuckte sie nur mit den Achseln. Danke, nicht interessiert. Nach einer Weile wurde sie für diese Frauen so etwas wie ein Resonanzboden, eine neutrale Vertraute, ein ruhiger Hafen inmitten des Meers der Stürme: Sie holte Billie - gegen Kaution - aus dem Gefängnis, und brachte Bobbie - nach einem besonders bösen Streit mit Billie - ins Krankenhaus, damit ihr dort der Magen ausgepumpt werden konnte. Ansonsten weigerte sie sich, für die eine oder für die andere Partei zu nehmen, ganz gleich, ob da nun eine Pat oder eine Al, eine Georgie oder eine Ronnie am Horizont auftauchte. Nein, dachte Justine, das war wirklich keine Gefühlswelt, in der sich auf die Dauer leben ließ. Es war ja schon mit Männern schlimm genug, aber die waren doch wenigstens in der ganzen Machart anders.
    Über einen Mangel an Freundinnen konnte Justine nicht klagen. Da waren die Mädchen von Bothwell Gardens, die Mädchen vom Culloden-Theater und natürlich jene, die sie von Kincoppal her kannte. Doch anzuvertrauen brauchte sie sich keiner von ihnen, dafür hatte sie gegebenenfalls Dane. Allerdings schien es, daß sie gar keine Nöte kannte, die sie anderen hätte anvertrauen müssen. Und was bei ihr ganz allgemein besonders beeindruckte, war jene ungewöhnliche Selbstdisziplin, in der sie sich von Kind auf geübt zu haben schien.
    Wann, wie, wo, wer - so etwa lauteten die Fragen, die Justines nähere Bekannten sich stellten. Wer würde wohl »derjenige« sein, und wann würde es geschehen? Doch Justine ließ sich Zeit. Die Nummer Eins als jugendlicher Liebhaber im Culloden-Theater war Arthur Lestrange, der allerdings inzwischen knapp seinen vierzigsten Geburtstag hinter sich hatte. Immerhin konnte er als

Weitere Kostenlose Bücher