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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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zuverlässiger Schauspieler gelten, und da er noch eine recht gute Figur sowie ein männlich-markantes, von blonden Locken umrahmtes Gesicht besaß, durfte er von vornherein mit dem Beifall des Publikums
    - vor allem natürlich des weiblichen - rechnen.
    Im ersten Jahr fiel ihm Justine überhaupt nicht auf. Sie verhielt sich sehr still und tat genau, was man ihr sagte. Sie verschmolz gleichsam mit dem Hintergrund. Doch als dann, gegen Ende des Jahres, ihre Sommersprossenbehandlung beendet war, begann sie, sich immer deutlicher von eben diesem Hintergrund abzuheben. Ohne die Sommersprossen und mit Make-up - vor allem um die Augenbrauen und die Wimpern ein bißchen dunkler zu tönen - war sie ein recht attraktives Mädchen, auch wenn sie es an Schönheit mit ihrer Mutter nicht aufnehmen konnte. Figürlich wirkte sie passabel, ohne in irgendeiner Weise spektakulär zu sein. Sie war eher ein wenig zu mager. Was ins Auge fiel, wenn überhaupt, konnte zunächst eigentlich nur ihr Haar sein, Haar von lebhaftestem
    Rot. Stand sie auf der Bühne, so war jedoch alles plötzlich ganz anders. Da verstand sie es, dem Publikum zu suggerieren, sie sei so schön wie die schöne Helena - oder häßlich wie eine Hexe. Arthur Lestrange fiel sie zum ersten Mal auf, als sie während des Schauspielunterrichts eine Passage aus Joseph Conrads »Lord Jim« vorzutragen hatte und dabei verschiedene Akzente »bringen« mußte. Sie war außergewöhnlich gut, und plötzlich begriff er, weshalb Albert Jones sich so ausnehmend viel Mühe mit ihr gab: Gar kein Zweifel, daß sie auch über ein großes mimisches Talent verfügte. Doch darüber hinaus verstand sie es, jedem Wort, das sie sprach, Gewicht zu verleihen - nicht zuletzt ihres Timbres wegen, das so dunkel und irgendwie rauchig klang, eine wunderbare »Beigabe« für jede Schauspielerin.
    Nun: als Arthur Lestrange sie bei nächster Gelegenheit abseits von den anderen sitzen sah, in der einen Hand eine Tasse Tee, in der anderen ein Buch, nahm er neben ihr Platz. »Was lesen Sie da?« Sie blickte auf, lächelte. »Proust.« »Finden Sie ihn nicht ziemlich langweilig?«
    »Proust und langweilig? Das ist er bestimmt für niemanden, der etwas für Klatsch übrig hat. Genau das ist er nämlich. Eine schreckliche alte Klatschtante.«
    Er hatte das etwas unbehagliche Gefühl, daß sie sich da ein wenig als intellektuelle »Gönnerin« aufspielte. Aber er verzieh ihr. Das mußte man ihrer großen Jugend zugute halten.
    »Ich habe gehört, wie Sie den Conrad gebracht haben. Ganz hervorragend.« »Danke.«
    »Vielleicht könnten wir irgendwann einmal miteinander Kaffee trinken und über Ihre Pläne sprechen?« »Wenn Sie meinen«, sagte sie und vertiefte sich wieder in den Proust.
    Er war froh, daß er sie nur zum Kaffee eingeladen hatte und nicht auch gleich zum Dinner, denn seine Frau hielt ihn mit dem Taschengeld ziemlich knapp. Jedenfalls saß er dann einige
    Zeit später zusammen mit Justine in einem unauffälligen kleinen Lokal in der unteren Elizabeth Street. Dort würde ihn seine Frau gewiß nie vermuten.
    Weil es ihr irgendwann zu dumm geworden war, immer nein zu sagen, wenn man ihr eine Zigarette anbot, hatte sie sich das Rauchen angewöhnt. Doch wie um ihre Unabhängigkeit zu bekunden, sorgte sie dafür, daß sie stets ihr eigenes Päckchen zur Verfügung hielt. Auch jetzt zog sie es hervor, riß den oberen Teil der Zellophanhülle ab, nahm dann eine Zigarette aus der Kippschachtel. Arthur beobachtete sie amüsiert. »Warum machen Sie sich nur soviel Mühe damit, Justine? Reißen Sie doch die ganze Zellophanhülle herunter.«
    »Wie unordentlich!«
    Er griff nach der Schachtel und strich nachdenklich über den noch intakten Teil der Hülle. »Nun, wenn ich ein Anhänger dieses außergewöhnlichen Sigmund Freud wäre ...«
    »Wenn Sie Freud wären, was dann?« Sie blickte zur Kellnerin, die neben ihr aufgetaucht war. »Cappuccino, bitte.« Es gefiel ihm wenig, daß sie für sich selbst bestellte, doch er sparte sich jede Bemerkung dazu, verfolgte statt dessen den Gedanken weiter. »Wiener Kaffee«, sagte er zur Kellnerin und dann: »Um wieder auf Freud zurückzukommen ... wie würde er das wohl gesehen haben? Nun, vielleicht hätte er gesagt ...« Sie ließ ihm keine Chance, ihr Feuer zu geben. Schon hatte sie sich ihre Zigarette selbst angesteckt. Und ihm das Päckchen wieder aus der Hand genommen. »Nun?« fragte sie.
    »Nun, Freud wäre sicher der Meinung, daß Ihnen sehr viel daran liegt,

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