Die Dornenvögel
unternehmen, macht er zunichte!« »Oh, nicht, Mum! Oh, nicht, bitte, nicht!« Er weinte, und er weinte um sie, für sie. Doch im selben Augenblick, da er es tat, begann sein Opfer bereits: auf eine Weise, wie er es sich nie hatte träumen lassen. Nicht einmal seiner Mutter zuliebe konnte er es aufgeben, dieses Opfer, zu dem es ihn so drängte. Er mußte es darbringen, und je schwerer das fiel, desto wertvoller mußte das Opfer in den Augen Gottes sein.
Sie betrachtete ihn erschrocken. Hatte sie ihn je im Leben zum Weinen gebracht? Nein, gewiß nicht, gewiß nicht, noch nie! Es war ganz einfach nicht fair von ihr, ihm mit ihrem Kummer in den Ohren zu liegen. Was konnte er denn dafür. Zu dem, was er war, dazu hatten ihn seine Gene gemacht. Oder sein Gott. Oder Ralphs Gott. Er war das Licht ihres Lebens, ihr Sohn. Und ihretwegen sollte er nie leiden, nein, niemals.
»Dane, weine doch nicht«, flüsterte sie und strich über die Spuren, die ihre Fingernägel auf seinem Arm hinterlassen hatten. »Es tut mir leid, so hab’ ich’s nicht gemeint. Du hast mir einen Schock versetzt, das ist alles. Natürlich freue ich mich für dich, wirklich! Wie könnte ich mich auch nicht freuen? Ich war nur so fassungslos. Ich hatte das einfach nicht erwartet.« Sie lachte leise, ihre Stimme klang ein wenig zittrig. »Du hast mir das ja auch wie eine Bombe vorgesetzt.« Seine Augen wurden klarer, er betrachtete seine Mutter. Zweifelnd, abwägend. Wieso hatte er sich eingeredet, daß er sie ermordete? Das waren doch Mums Augen, wie er sie seit eh und je kannte, voll der Liebe und sehr lebendig.
Er legte seinen Arm um sie, zog sie an sich. »Bist du auch sicher, daß du nichts dagegen hast?«
»Etwas dagegen haben? Wie könnte eine gut katholische Mutter wohl etwas dagegen haben, daß ihr Sohn Priester wird. Unmöglich!« Sie stand rasch auf. »Brr! Wie kalt es doch ist. Machen wir, daß wir zurückkommen.«
Sie waren nicht hergeritten, sondern mit einem Land-Rover hergefahren. Jetzt stiegen sie wieder ein. Dane setzte sich ans Steuer. »Hast du dir schon überlegt, wohin du gehen willst?« fragte Meggie und schluckte rasch. In ihrem Hals schien ein Schluchzen aufsteigen zu wollen. Sie strich sich eine wirre Haarsträhne aus der Stirn. »Aufs Saint Patrick’s College wahrscheinlich. Bis ich festeren Boden unter den Füßen spüre sozusagen. Vielleicht trete ich dann einem Orden bei. Eigentlich würde ich ganz gerne Jesuit werden, aber ich bin mir da noch nicht so sicher, daß ich mich gleich der Gesellschaft Jesu zuwenden möchte.«
Durch die von toten Insekten verschmierte Windschutzscheibe starrte Meggie auf das hellbraune Djogheda-Gras, das unter dem rumpelnden Land-Rover eigentümlich zu hüpfen schien. »Ich habe eine viel bessere Idee, Dane.«
»So?« Er mußte sich aufs Fahren konzentrieren. Die Strecke führte hier über sehr unebenes Gelände, und immer wieder bildeten umgestürzte morsche Baumstämme ein unvermutetes Hindernis. »Ich werde dich nach Rom schicken, zu Kardinal de Bricassart. Du erinnerst dich doch noch an ihn, nicht wahr?«
»Ob ich mich noch an ihn erinnere? Was für eine Frage, Mum? Ich glaube, ich würde ihn in tausend Jahren nicht vergessen. Für mich ist er das Beispiel eines vollkommenen Priesters. Könnte ich ein solcher Priester werden wie er, so wäre ich sehr glücklich.« »Nun, mit der Vollkommenheit ist das so eine Sache!« erklärte Meggie mit eigentümlicher Schärfe. »Aber ich werde dich ihm anvertrauen, weil ich weiß, daß er sich um meinetwillen um dich kümmern wird. Du kannst ja in Rom in ein Seminar eintreten.« »Ist das dein Ernst, Mum? Wirklich?« Seine Freude wurde von plötzlicher Besorgnis überschattet. »Ist denn genügend Geld vorhanden? Es wäre viel billiger, wenn ich in Australien bliebe.« »Nun, eben dank Kardinal de Bricassart wird es dir nie an Geld fehlen, Liebling.«
Kurz darauf hielten sie, und nachdem sie ausgestiegen waren, schob Meggie ihren Sohn in Richtung Kochhaus. »Erzähl’s Mrs. Smith und den beiden anderen. Sie werden ganz aus dem Häuschen sein.« Mit Beinen wie aus Blei ging Meggie zum großen Haus, betrat dann den Salon, wo Fee saß, erstaunlicherweise nicht am Schreibtisch, sondern, zusammen mit Anne Müller, beim Nachmittagstee. Die beiden Frauen hoben den Kopf und musterten Meggie aufmerksam. Deutlich war ihr vom Gesicht abzulesen, daß irgend etwas nicht stimmte.
Achtzehn Jahre lang waren die Müllers regelmäßig nach Drogheda zu Besuch
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