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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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er zog die Knie an. Mein Herz! Ich habe einen Herzanfall, ich sterbe! Mein Herz! Ich will nicht sterben! Noch nicht! Nicht, ehe ich nicht mein Werk begonnen habe! Nicht, bevor ich nicht Gelegenheit gehabt habe, mich zu beweisen! O Herr, hilf! Ich möchte nicht sterben, ich möchte nicht sterben!
    Der verkrampfte Körper entspannte sich. Langsam drehte Dane sich auf den Rücken, breitete die Arme aus und spürte den Schmerz. Er blickte hinauf zum Himmel, zur unendlich weiten Wölbung. Dies ist es, dies ist dein Speer, um den ich dich anflehte in meinem Hochmut vor kaum einer Stunde. Laß mich leiden, habe ich gesagt, bitte, laß mich leiden. Und jetzt, da es gekommen ist, widerstrebe ich, unfähig der vollkommenen Liebe. O Herr, mein Gott, mein allerliebster Herr, dein Schmerz! Ich darf mich nicht dagegen sträuben, nicht dagegen wehren, ich darf nicht ankämpfen gegen deinen Willen. Deine Hand ist mächtig, und dies ist dein Schmerz, so wie du ihn gefühlt haben mußt am Kreuz. O Herr, mein Gott, ich gehöre dir! Ist dies dein Wille, so soll es geschehen. Wie ein Kind schmiege ich mich in deine Hände. Du bist zu gut zu mir. Womit verdiene ich deine Liebe und die Liebe all jener Menschen, die mich mehr lieben als irgend jemanden sonst. Warum hast du mir soviel gegeben, da ich doch nicht würdig bin? Der Schmerz! Der Schmerz! Du bist so gut zu mir. Laß es bald geschehen, habe ich gesagt, und du hast es bald geschehen lassen. Mein Leiden wird kurz sein, bald vorüber. Ich werde dein Antlitz sehen können, doch jetzt, noch in diesem Leben, danke ich dir. Der Schmerz! O Herr, o mein allerliebster Herr, du bist zu gut zu mir. Ich liebe dich!
    Ein Zittern ging durch den stillen, wartenden Körper. Seine Lippen bewegten sich, flüsterten einen Namen, versuchten ein Lächeln. Dann weiteten sich die Pupillen, und das Blau der Augen blich gleichsam dahin. Die beiden Engländer, mit den weinenden, geretteten Frauen jetzt am Strand, hielten Ausschau nach ihm, konnten ihn jedoch nirgends entdecken. Er war bereits untergegangen. Irgend jemand dachte schließlich daran, daß es in der Nähe einen Stützpunkt der United States Air Force gab, und rannte los, um Hilfe zu holen. Keine halbe Stunde, nachdem Dane verschwunden war, stieg ein Hubschrauber auf und kreiste unablässig über jenem Bereich, der, wenn überhaupt, in Frage kam. Doch niemand erwartete, irgend etwas zu finden. Ertrunkene sanken auf den Grund des Meeres, und es vergingen Tage, ehe sie wieder hochkamen. Eine Stunde verging, und schließlich sichtete man Dane dann doch. Friedlich trieb er auf der Oberfläche, mit ausgebreiteten Armen, das Gesicht dem Himmel zugekehrt. Er schien also gar nicht untergegangen zu sein. Vielmehr sah es ganz so aus, als wäre er noch am Leben. Doch als der Hubschrauber tiefer ging, so tief, daß es unten wie Gischt hochstäubte, sah die Besatzung ganz deutlich: Er war tot. Per Funk wurde die Position durchgegeben, eine Motorbarkasse lief aus, und drei Stunden später kehrte sie mit der Leiche an Bord zurück. Inzwischen hatte sich die Nachricht bereits verbreitet. Für eine ganze Anzahl ortsansässiger Kreter war Dane bereits zum vertrauten Anblick geworden, und so mancher hatte gern einige scheue Worte mit ihm gewechselt. Sie liebten ihn, obwohl sie gar nicht wußten, wer er war. Und jetzt kamen sie, kamen alle zum Meer, da er auf der Barkasse zurückkehrte: die Frauen sämtlich in Schwarz, die Männer in altmodischen beutligen Hosen, weißen Hemden am Kragen offen, die Ärmel hochgekrempelt. Und stumm standen sie, wartend. Als die Barkasse ans Ufer kam, sprang ein bulliger Sergeant hinaus auf den Strand und drehte sich dann um. Man reichte ihm ein Bündel, das in eine Decke gewickelt war. Er nahm es und legte es dann mit Hilfe eines anderen Mannes auf den trockenen Sand. Die Decke glitt auseinander, und von den Kretern kam es wie ein Zischeln, ein Tuscheln. Sie traten näher, preßten Kruzifixe an ihre Lippen, und die Frauen ließen ein eigentümlich leises Wehklagen hören, ein Oooooooo!, fast melodisch klang: voll Trauer und voll leidender Geduld, so überaus irdisch und so überaus weiblich. Es war jetzt ungefähr fünf Uhr nachmittags. Langsam sank die Sonne den Klippen im Westen entgegen. Deutlich sah man inmitten der Gruppe die liegende Gestalt: die goldbraune Haut, die salzverkrusteten Wimpern, das Lächeln um die bläulichen Lippen. Man brachte eine Tragbahre, und gemeinsam trugen die Kreter und die amerikanischen Soldaten Dane

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