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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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fort.
    Obwohl in Athen starke politische Unruhen herrschten, gelang es dem amerikanischen Colonel im Flugzeugstützpunkt, über eine besondere Wellenlänge mit seinen Vorgesetzten Verbindung zu bekommen. In der Hand hielt er Danes blauen australischen Paß. Wie es die Regel ist, ließ sich daraus kaum etwas über den Menschen erfahren. Unter Beruf war nur angegeben: »Student.« Und ganz hinten fand sich als nächste Angehörige Justine vermerkt, mit ihrer Londoner Adresse. Ohne weiter auf die juristische Bedeutung zu achten, hatte Dane sie als nächste Angehörige genannt, weil von Rom aus gerechnet, London viel näher war als Gillanbone oder Drogheda. In seinem kleinen Zimmer im Gasthaus stand, ungeöffnet, jener kleine, schwarze Koffer, der alles enthielt, was Dane als Priester gebraucht hatte. Dieser Koffer und der Kleiderkoffer würden in absehbarer Zeit an eine noch zu nennende Adresse geschickt werden.
    Als um neun Uhr früh das Telefon klingelte, wälzte sich Justine herum, öffnete müde ein Auge, fluchte laut und schwor, das verflixte Ding endlich abmontieren zu lassen. Wenn die übrige Welt meinte, es sei nur normal, morgens um neun irgendwie aktiv zu sein, hatte sie dann das Recht, das auch bei ihr vorauszusetzen? Doch das Telefon klingelte und klingelte und hörte nicht auf zu klingeln. War das womöglich Rain? Dieser Gedanke ließ sie endgültig wach werden. Sie stand auf und ging hinüber ins Wohnzimmer. Seit gut einer Woche hatte sie ihn nicht mehr gesehen. In Bonn gab es eine politische Krise, und erjagte von Sitzung zu Sitzung. Vorläufig werde er kaum kommen können, hatte er gesagt. Aber vielleicht war inzwischen wieder alles in Ordnung, und er rief sie an, um ihr seinen Besuch anzukündigen. »Hallo?«
    »Miß Justine O’Neill?« »Ja, am Apparat.«
    »Dies ist Australia House, in der Aldwych, wissen Sie?« Die Stimme sprach mit britischem Akzent und nannte einen Namen, aber Justine achtete nicht weiter darauf. Also doch nicht Rainer, dachte sie, wie schade.
    »Also gut, Australia House.« Sie gähnte, scheuerte die rechte Fußsohle gegen die linke Wade. »Worum handelt sich’s denn?« »Haben Sie einen Bruder namens Dane O’Neill?« Plötzlich waren Justines Augen weit geöffnet. »Ja, ganz recht.« »Miß O’Neill, es tut mir sehr leid, daß ich eine traurige Nachricht für Sie habe.«
    »Traurige Nachricht? Ja, was für eine traurige Nachricht, um Gottes willen? Was ist passiert?«
    »Ich bedaure, Ihnen mitteilen zu müssen, daß Ihr Bruder, Mr. Dane O’Neill, gestern bei Kreta ertrunken ist, und zwar, soweit wir wissen, bei einer mutigen Rettungsaktion. Allerdings sind, der gegenwärtigen Unruhen in Griechenland wegen, die Nachrichtenverbindungen schlecht und unsere Informationen entsprechend dürftig.« Justine lehnte sich gegen die Wand beim Telefon, und dann glitt sie, unfähig, sich auf den Beinen zu halten, langsam zu Boden, den Telefonhörer noch in der Hand. Sie weinte nicht, blieb völlig stumm; bis dann ein kaum hörbares Geräusch über ihre Lippen kam, ein Schluchzen, das tief in der Kehle saß und sich nicht befreien konnte. Dane ertrunken. Dane tot. Kreta. Dane ertrunken. Tot, tot. »Miß O’Neill? Sind Sie am Apparat, Miß O’Neill?« fragte die Stimme beharrlich. Tot. Ertrunken. Mein Bruder. »Miß O’Neill, antworten Sie!«
    »Ja, ja, ja, ja, ja! Ja, ich bin hier. O Gott!«
    »Da Sie ja wohl seine nächste Angehörige sind, haben Sie darüber zu befinden, was mit der Leiche geschehen soll. - Miß O’Neill, hören Sie?« »Ja, ja!«
    »Was also soll mit der Leiche geschehen, Miß O’Neill?« Leiche! Und die Stimme sagte so einfach die Leiche, sie sagte nicht einmal seine Leiche. Oh, Dane, mein Dane!
    Ihr Schluchzen klang lauter. Mühsam sagte sie: »Nächste Angehörige ... das ist wohl eigentlich ... meine Mutter.« Eine kurze Pause trat ein. »Dies ist äußerst schwierig, Miß O’Neill. Wenn Sie nicht die nächste Angehörige sind, dann haben wir kostbare Zeit vergeudet.« Die höfliche Anteilnahme wich unverkennbarer Ungeduld. »Sie scheinen nicht zu verstehen, daß in Griechenland ein Umsturz vor sich geht, und der Unfall hat sich bei Kreta ereignet, und da die Insel am weitesten entfernt liegt, sind die Nachrichtenverbindungen dorthin auch besonders schlecht. Wirklich! Bei den gegenwärtigen Zuständen in Athen hat man uns gebeten, möglichst umgehend mitzuteilen, was mit der Leiche geschehen soll, da sehr wohl der Fall eintreten könnte, daß schon bald

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