Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
Vom Netzwerk:
nicht besser hätte wissen müssen. Versuche die Götter nicht, denn sie lieben es, herausgefordert zu werden.
    Aber habe ich nicht verzichtet: darauf verzichtet, in seinem schönsten Augenblick bei ihm zu sein? Ich hatte geglaubt, dadurch sei es abgebüßt. Das Gesicht nicht sehen zu können, das mir das liebste ist von allen. Ist? Ist? War ...
    Einen kurzen Augenblick brauchte sie noch, um sich zu fassen. Als sie dann sprach, klang ihre Stimme völlig beherrscht und ohne das leiseste Zittern. »Versuche, ruhig zu bleiben, und erzähle. Bist du sicher?«
    »Australia House hat mich angerufen - man glaubte, ich sei die nächste Angehörige. Irgendein entsetzlicher Mensch wollte von mir wissen, was mit der Leiche geschehen solle. Ja, genauso sagte er’s: die Leiche, und nicht etwa: seine Leiche. Als ob es nur noch ein Ding wäre.« Meggie hörte ihr Schluchzen. »Oh, Mum, Dane ist tot!« »Wie, Justine? Wie ist es geschehen und wo? In Rom? Warum hat Ralph mich nicht angerufen?«
    »Nein, nicht in Rom. Der Kardinal weiß wahrscheinlich nichts davon. Auf Kreta. Der Mann sagte, es sei bei einer Rettungsaktion passiert. Dane machte Urlaub, Mum. Und er hatte mich gebeten, ihn zu begleiten. Aber das tat ich dann nicht. Ich wollte die Desdemona spielen, ich wollte mit Rain zusammen sein. Wäre ich doch nur bei ihm gewesen! Vielleicht wäre es dann nicht passiert! O Gott, was kann ich tun?«
    »Hör auf, Justine«, sagte Meggie streng. »Solche Gedanken führen zu nichts! Du weißt, daß Dane so etwas nicht billigen würde. Dinge geschehen, und wir wissen nicht, weshalb. Wichtig ist jetzt, daß du gut auf dich selbst aufpaßt. Oh, Jussy, Jussy, ich möchte dich nicht auch noch verlieren. Du bist das einzige, was mir noch geblieben ist, und wir sind so weit voneinander entfernt! Die Welt ist so groß, zu groß! Komm heim! Ich kann den Gedanken nicht ertragen, daß du dort so ganz für dich allein bist! «
    »Nein, ich muß arbeiten. Arbeit - das ist die einzige Lösung für mich. Wenn ich nicht arbeite, schnappe ich über. Ich will keine Menschen, ich will keinen Trost. Oh, Mum!« Sie schluchzte laut. »Wie sollen wir ohne ihn leben?«
    Ja, wie? dachte Meggie. Und was war das, dieses Leben? Von Gott kamst du, zu Gott kehrst du zurück. Staub zu Staub, Asche zu Asche. Leben? Das ist für uns, die wir versagt haben. Gieriger Gott, der die Guten zu sich nimmt und uns, dem verrotteten Rest, diese Welt gibt, damit wir weiter vor uns hinfaulen.
    Doch wieder klang ihre Stimme völlig ruhig. »Keiner von uns weiß, wie lange er leben wird, und das ist wohl auch gut und richtig so. Vielen Dank, Jussy, daß du mich angerufen hast, um es mir selbst zu sagen.«
    »Ich wollte nicht, daß es ein Fremder tut, Mum ... Leere Worte, du weißt schon. Was wirst du tun? Was kannst du tun?« Meggie nahm alle Kraft zusammen. Über die vielen tausend Kilometer hinweg versuchte sie, der einsamen Justine ein Gefühl der Wärme und des Trostes zu geben. Ihr Sohn war tot, ihre Tochter lebte noch. Sie galt es jetzt zu schützen, zu bewahren. Ihr Leben lang schien Justine nur einen Menschen wirklich geliebt zu haben, Dane. Niemanden sonst, nicht einmal sich selbst.
    »Justine«, sagte Meggie. »Liebes, weine nicht. Versuche, nicht in Trauer zu versinken. Er hätte das nicht haben wollen, das weißt du doch, nicht wahr? Komm nach Hause und vergiß.
    Wir werden auch dafür sorgen, daß Dane nach Drogheda kommt. Dem Gesetz nach gehört er wieder mir. Er gehört nicht der Kirche, und sie können mich nicht hindern. Ich werde sofort Australia House anrufen und auch die Botschaft in Athen, falls ich durchkomme. Er muß heimkehren! Auf Drogheda muß er bestattet werden, nirgends sonst. Hier gehört er her. Er muß heimkommen, und bitte, Justine, du auch.« Doch Justine, in ihrer Londoner Wohnung, saß zusammengeduckt und schüttelte wieder und wieder den Kopf. Heimkommen? Nie mehr. Hätte sie Dane begleitet, so wäre er jetzt nicht tot. Heimkommen und das Gesicht ihrer Mutter sehen, Tag für Tag, auf Monate, auf Jahre? Ein Gesicht, daß vielleicht ohne Vorwurf blieb ... und dennoch ... ja, dennoch ...
    »Nein, Mum«, sagte sie, während ihr die Tränen heiß wie geschmolzenes Metall über die Wangen liefen. »Ich werde hierbleiben und arbeiten. Ich meine, natürlich begleite ich Dane heim. Aber auf Drogheda leben, nein, das kann ich nicht. Ich kehre dann wieder nach hier zurück.«
    Drei Tage lang warteten sie wie in einem Vakuum, Justine in London, Meggie und

Weitere Kostenlose Bücher