Die Dornenvögel
ihr aufzuhelfen. Pater Ralph stieß ihn rauh zurück. »Lassen Sie sie! Sie haben schon genug angerichtet. Im Sideboard ist Whisky, bedienen Sie sich. Ich bringe das Kind zu Bett. Dann komme ich zurück, um mit Ihnen zu reden. Bleiben Sie also hier. Haben Sie gehört, Mann?« »Ja, Pater. Ich werde hier sein. Bringen Sie Meggie ins Bett.«
Oben im hübschen apfelgrünen Schlafzimmer knöpfte der Priester dem Mädchen das Kleid und das Hemdchen auf. Dann ließ er sie auf dem Bettrand Platz nehmen, damit er ihr Schuhe und Strümpfe ausziehen konnte. Ihr Nachthemd lag auf dem
Kopfkissen, wo Annie es hingelegt hatte. Er nahm es und zog es Meggie sacht über den Kopf und ganz hinab, bevor er ihre Schlüpfer abstreifte. Währenddessen redete er unaufhörlich, redete, plauderte, schwatzte fast, erzählte ihr alle möglichen närrischen Geschichten, um sie von ihren dumpfen, dunklen Gedanken abzubringen. Ob sie ihm zuhörte, ob sie ihn überhaupt hörte, konnte er nicht sagen. Müde, wie völlig erschöpft und gleichsam ausgehöhlt starrten ihre Augen über seine Schultern hinweg.
»Lege dich jetzt hin, mein Lieblingsmädchen, und versuche zu schlafen. Nach einer Weile werde ich wiederkommen, um nach dir zu sehen. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen, hörst du? Wir werden dann darüber sprechen.«
»Ist mit ihr alles in Ordnung?« fragte Paddy, als der Priester wieder zu ihm ins Zimmer trat.
Pater Ralph griff nach der Whiskyflasche, die auf dem Sideboard stand, und schenkte sich ein Glas halb voll.
»Ich weiß es wirklich nicht«, sagte er, »aber bei Gott, ich wünschte, ich wüßte es - was für einen Iren nämlich der größere Fluch ist, die Trunksucht oder der Jähzorn. Was war nur in Sie gefahren, das zu sagen? Nein, versuchen Sie gar nicht erst, mir darauf eine Antwort zu geben! Es liegt am Jähzorn. Natürlich ist es wahr. Gleich als ich ihn das erste Mal sah, wußte ich, daß Sie nicht sein Vater sein konnten.«
»Entgeht Ihnen wohl nicht viel, wie?«
»Schon möglich. Allerdings braucht man gar keine besonderen Kräfte, sondern nur eine durchaus normale Beobachtungsgabe, um zu erkennen, daß eine Reihe von Mitgliedern meiner Gemeinde tief, sehr tief in Sorgen und auch in Seelenqualen steckt. Da ich das erkannt habe, ist es meine Pflicht, ihnen nach Kräften zu helfen.«
»Sie sind in Gilly sehr beliebt, Pater.«
»Wofür ich wohl meinem Gesicht und meiner Figur danken kann«, sagte der Priester, und die Bemerkung klang bitter und keineswegs so beiläufig, wie er das eigentlich beabsichtigt hatte.
»Glauben Sie das wirklich? Da bin ich aber anderer Meinung, Pater. Wir haben Sie gern, weil Sie ein guter Pfarrer sind.«
»Wie dem auch sei«, sagte Pater Ralph unbehaglich, »ich stecke jetzt gewissermaßen in Ihren Problemen mit drin. Wälzen Sie sich also schon den Stein von der Seele, Mann.«
Paddy starrte in das Feuer, in das er, als der Priester nicht im Zimmer gewesen war, Scheit auf Scheit geschichtet hatte, nur um irgend etwas zu tun, während er wartete, nur um seine unruhigen Hände irgendwie zu beschäftigen. Jetzt hielt er sein Whiskyglas in der Hand, das inzwischen leer war. Seine Finger zuckten nervös.
Pater Ralph stand auf, holte die Whiskyflasche, goß nach. Paddy tat einen langen Zug, seufzte dann und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, wischte vergessene Tränen fort.
»Ich weiß nicht, wer Franks Vater ist. Es ist passiert, bevor ich Fee kennenlernte. Ihre Familie - also praktisch sind sie gesellschaftlich Neuseelands erste Familie, und ihr Vater hatte einen großen Weizen- und Schafe-Besitz bei Ashburton auf der Südinsel. Geld war kein Thema, und Fee war seine einzige Tochter. So wie ich das sehe, hatte er schon ihr ganzes Leben im voraus für sie geplant - eine Reise in die alte Heimat, Einführung bei Hofe, der richtige Ehemann.
Natürlich hatte sie im Haus nie auch nur einen Finger krumm zu machen brauchen. Da waren ja Dienstmädchen und Zofen und Butler, und sie lebten wie Fürsten.
Ich war so eine Art Hilfsmelker, und manchmal sah ich Fee aus einiger Entfernung, mit einem kleinen Jungen, ungefähr anderthalb Jahre alt, und ... Ja, also eines Tages kommt dann plötzlich der alte James Armstrong zu mir. Seine Tochter, sagt er, hat über die Familie Schande gebracht. Verheiratet ist sie nicht, aber ein Kind hat sie. Natürlich sei das vertuscht worden. Sie hätten auch versucht, sie aus dem Haus zu schaffen, bloß - na ja, also die Großmutter hatte einen solchen
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