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Die Dornenvögel

Die Dornenvögel

Titel: Die Dornenvögel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colleen McCoullough
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Herrenhaus blieben. Unter den Umständen war das praktisch auch das beste, wenn nicht gar die einzige Lösung. Unmöglich hätte sich Meggie noch um die beiden kümmern können. Was von ihrer Zeit übrigblieb, gehörte Hai. Er nahm sie ohnehin in Anspruch, wo er nur konnte. In seiner Welt bildete sie den Mittelpunkt. Er wollte niemanden außer Meggie, und er hatte niemanden außer Meggie.
    Bluey Williams tauschte seine prachtvollen Zugpferde und seinen mächtigen Karren gegen einen Lastwagen ein, und jetzt kam die Post alle vier Wochen, statt alle sechs, doch von Frank war nie etwas dabei, und allmählich verblichen die Erinnerungen an ihn ein wenig, so teuer sie denen, die ihn geliebt hatten und noch liebten, auch sein mochten. Bei wohl jedem von uns scheint, in einem solchen Fall, ein unbewußter seelischer Heilungsprozeß einzusetzen, auch wenn wir uns noch so sehr anstrengen, die Erinnerung an einen Menschen ungeschmälert zu bewahren. Nach und nach verblaßten Franks vertraute Züge vor Meggies innerem Auge. Was sie beim Gedanken an ihn vor sich sah, glich dem wirklichen Frank auf ähnliche Weise wie ein zwar erhabenes, doch verschwommenes Christusbild dem wirklichen Jesus. Und was Fee betraf, so fand sie jetzt, aus der eigentümlichen Entrücktheit ihres Wesens heraus, mehr und mehr zu einem anderen Menschen, dem fortan in besonderem Maße ihre Liebe galt. Das geschah so allmählich und so unauffällig, daß es niemand merkte, ausgenommen jener, auf den sich ihre Liebe jetzt richtete. Verwundern konnte das kaum, war Fee doch noch nie eine Frau gewesen, die ihre Gefühle demonstrativ bekundete. Daß kein anderer als Stu jetzt gleichsam an Franks Stelle trat, war wohl nur folgerichtig, wenn nicht gar unausweichlich. Von all ihren Kindern ließ sich eigentlich nur von ihm behaupten, daß er ihr nachschlug. Für seinen Vater und seine Brüder bildete er, inzwischen vierzehn, ein genauso großes Rätsel wie früher Frank, doch anders als dieser rief er keine Gereiztheit, keine Feindseligkeit hervor. Ohne sich über irgend etwas zu beklagen, tat er, was man ihm sagte, und arbeitete genauso hart wie jeder sonst. Sein Haar war zwar rot, seine Haut jedoch dunkler schattiert als die seiner Brüder, mehr zum Mahagonibraun hin. Seine Augen wirkten so klar wie helles, durchsichtiges Wasser, und sie schienen tiefer blicken zu können als andere, bis ganz auf den Grund. Auch war er der einzige von Paddys Söhnen, der ein wirklich stattlicher Mann zu werden versprach. Meggie allerdings meinte, »ihr« Hai werde ihn da sicher einmal übertreffen. Im übrigen wußte nie jemand, was Stuart eigentlich dachte. Genau wie seine Mutter sprach er nur wenig und behielt seine Gedanken für sich. Er besaß die eigentümliche Fähigkeit, sich gleichsam ganz in sich zurückzuziehen, so daß ihm schließlich niemand mehr folgen konnte, wie Meggie das für sich umschrieb. Pater Ralph drückte das anders aus. »Das ist ja nicht mehr menschlich mit dem Burschen!« hatte er voll Nachdruck erklärt, als er Stuart nach dessen Hungerstreik nach Drogheda brachte. »Hat er etwa gesagt, daß er wieder nach Hause wollte? Oder daß ihm Meggie fehlte? Kein Gedanke! Er hörte ganz einfach auf zu essen und wartete dann, bis es uns zu dämmern begann. Kein einziges Mal hat er den Mund aufgetan, um sich zu beklagen. Und als ich ihn mir schließlich vornahm und anschrie, ob er vielleicht nach Hause wolle, da lächelte er nur und nickte!«
    Irgendwie erschien es allen selbstverständlich, daß Stuart nicht mit Paddy und mit seinen Brüdern zu den Koppeln hinausreiten würde, obwohl er für eine solche Arbeit jetzt eigentlich alt genug war. Und so blieb er zu Hause, um sich dort nützlich zu machen. Bei drei Babys hatten die Frauen für viele Arbeiten, Holz hacken, melken, den Gemüsegarten in Ordnung halten, einfach nicht die Zeit, und außerdem war er dort als Beschützer von Nutzen. Es konnte nicht schaden, einen Mann zur Hand zu haben, auch wenn es nur ein heranwachsender war. Seine Anwesenheit ließ darauf schließen, daß sich in der Nähe womöglich noch weitere Männer befanden. Mitunter erschienen nämlich unangemeldete Besucher. Derbe Schuhe polterten die Holztreppe zur Hinterveranda herauf, und eine fremde Stimme fragte:
    »Hallo! Missus, hätten Sie für ‘n Mann vielleicht ‘n bißchen was zu futtern?«
    Hier im Outback gab es erstaunlich viele von ihnen: Tramps mit ihren Wanderbündeln, von Norden her kommend, von Queensland, oder vom Süden,

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