Die Drachen Der Tinkerfarm
zu sprechen, so dass man manchmal nur ein sanftes Murmeln hörte, aber keine Worte verstand. Sie war hübsch wie ein Püppchen, und obwohl sie älter als Lucinda zu sein schien, war sie einen halben Kopf kleiner. In Pemas Gesellschaft fühltesich Lucinda immer trampelig wie ein Pferd oder noch schlimmer.
»Ja, Tee wird sie wohl trinken«, sagte Sarah mit verkniffenem Mund, die blasse Haut von einer Erregung gerötet, deren Ursache Lucinda nicht verstand. »Aber mit ihrem kleinen Freund.«
»Colin?«, fragte Lucinda nach.
»Das hätte der wohl gern«, schnaubte Sarah. »Wenn sie sich halb so viel um ihren vaterlosen Sohn kümmern würde wie um dieses Tier, käme der Junge nicht laufend auf so krumme Gedanken.«
Pema holte hörbar Luft. Selbst die lange Azinza richtete sich auf, als ob Sarah etwas Gefährliches gesagt hätte. »Du solltest nicht solche Sachen sagen«, zischte sie. »Sie hört das.«
Es war, als ob etwas Kaltes Lucinda im Nacken gepackt hätte. »Tier? Welches Tier?«
»Dieses … Biest«, sagte Sarah, ohne auf Azinzas warnendes Kopfschütteln zu achten. Die sonst immer fröhliche Köchin verschränkte die Arme vor der Brust. »Nein, ich werde nicht schweigen. Ich bin eine gute Christin, einerlei wohin mich das Schicksal verschlagen hat. Sie redet mit diesem Biest, als ob es ihr Haustier wäre, und was soll daran gottgefällig sein? Sitzt und redet mit ihm, und ich schwöre, es hört ihr zu.«
Pema legte eine kleine Hand auf den breiten Arm der deutschen Köchin. »Bitte, Miss Sarah. Sag nichts mehr. Azinza hat recht, es ist töricht, schlecht von ihr zu sprechen, von –«
»Einer Hexe?« Sarah verzog das Gesicht. »So, jetzt ist es heraus. Haben diese Kinder nicht das Recht, Bescheid zu wissen? Sie redet ganz unverhohlen mit einem Schwarzhörnchen, und es gibt keckernd Antwort, jawohl! Und nur der liebeHerrgott weiß, womit sie Master Gideon so närrisch gemacht hat, so … so …«
Als Sarah auf einmal überraschend zu weinen begann, lief Lucinda entsetzt aus der Küche.
Tyler hatte recht! Lucinda konnte kaum noch atmen. Eine Hexe! Mrs. Needle war wirklich eine Hexe!
Sie lief auf den Hof hinaus, wo sie nach der Helligkeit in der Küche im Dunkeln erst einmal kaum etwas erkennen konnte. Ihr wurde ganz schlecht bei der Vorstellung, dass Tyler dort draußen ganz allein war und von weiß Gott was für einem Wesen beobachtet wurde. Sie stolperte über das Gelände und wünschte, der Mond möge schnell hinter den Wolken hervorkommen. Sie meinte jetzt, den Schattenriss des Silos zu erkennen, aber etwas bewegte sich dort, ganz schwach vom verschleierten Mond beschienen. Tyler? Sie wollte rufen, doch sie wusste nicht, wer es hören würde. Die Farm, die ihr bis vor kurzem noch absonderlich, aber im Großen und Ganzen sicher erschienen war, war auf einmal ein Nest unheimlicher Fremder geworden.
Wenn das Tyler war, dann ging er vom Farmhaus weg, allerdings nicht zum Silo, sondern zu den Weiden und dem Reptilienstall. Vielleicht hatte er schon sein Glück beim Silo versucht und wollte jetzt noch andere Teile der Farm auskundschaften. Er wusste nicht, in welcher Gefahr er schwebte! Sie kam sich wie ein Idiot vor. Ihr Bruder hatte recht gehabt, nicht sie. Sie hatte alles rosig sehen wollen, wie immer, und sie hatte die Augen vor allem verschlossen, was ihr nicht in den Kram passte.
Ein Schauder durchlief sie bei der Erinnerung an Mrs. Needles kalte, leuchtende Augen, die bleiche Hand der Frau aufihrer. Wann war das gewesen? Sie erinnerte sich, dass sie mit ihr Tee getrunken hatte, nicht aber, angefasst worden zu sein. Mrs. Needle fasste kaum jemanden an, nicht einmal ihren Sohn. Jetzt aber war die Erinnerung daran, wie diese kühle weiße Hand auf ihrer gelegen hatte, so stark und schmerzhaft wie die Erinnerung an eine Verbrennung.
Die dunkle Gestalt vor ihr war schneller, als sie gedacht hatte. Wenn es Tyler war, dann bewegte er sich im Laufschritt. War ihm etwas zugestoßen? Auf jeden Fall konnte sie ihn nicht einfach ungewarnt auf dem Gelände herumstreifen lassen. Zu viele Bewohner waren heute Abend auf den Beinen, und er musste erfahren, was Sarah und die anderen über Mrs. Needle gesagt hatten.
Etwas drang in ihr Bewusstsein – ein Geräusch? Nein, es war ein Gefühl, eine spürbare Traurigkeit, die in der Luft zu schwingen schien wie der Klageton eines Gespensts und bei der sich ihr die Nackenhaare sträubten.
Fort.
Verloren.
Fort.
Das Gefühl erfasste Lucinda, und sie blieb
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