Die Drachen von Montesecco
verlangen, daß es meinem Sohn gutgeht.«
Catia sagte nichts.
»Der Entführer hat sich schon bei dir gemeldet!« sagte Franco.
»Vielleicht schon vor Tagen«, sagte Angelo.
»Du weißt genau, wie die Geldübergabe ablaufen soll«, sagte Elena.
»Und uns hast du alles verschwiegen!« sagte Angelo.
»Als ob uns das überhaupt nichts anginge«, sagte Ivan. »Als ob es dein eigenes verdammtes Geld wäre, das du irgend jemandem in den Rachen werfen kannst, ohne ein Sterbenswörtchen darüber zu verlieren.«
Catia preßte den grünen Drachen an die Brust. Man sah ihr an, daß sie es vorgezogen hätte, weiterhin auf einer Illusion zu beharren, an die keiner mehr glaubte. Doch alleForderungen des Entführers zu erfüllen und dabei so zu tun, als wisse sie von nichts, das ging nicht mehr. Nicht gegen eine ganze Dorfgemeinschaft, die sich hintergangen fühlte und jeden ihrer Schritte argwöhnisch beobachten, wenn nicht sogar hintertreiben würde. Catia hatte keine Wahl. Sie mußte versuchen, das Mißtrauen der anderen zu zerstreuen, und dazu mußte sie reden.
»Ja, ja, ja, ihr habt recht«, sagte sie, »ich bin in Kontakt mit dem Entführer. Er hat verlangt, daß ich das für mich behalte, und ihr wißt verdammt genau, warum ich das getan habe.«
Doch damit gaben sich die anderen nicht mehr zufrieden. Von allen Seiten prasselten die Fragen auf Catia ein. Man wollte wissen, wie der Entführer sie kontaktiert und was er ihr mitgeteilt hatte. Wie und wo sollte das Lösegeld übergeben werden? Oder hatte sie etwa schon bezahlt?
Zögernd berichtete Catia, daß der Entführer per SMS seine Anweisungen für die Geldübergabe durchgegeben habe. Bis morgen früh müsse sie einen Heißluftballon besorgen, der die zwei Koffer tragen könne. Der Ballon solle auf der Terrasse des Pfarrhauses bereitgehalten werden, bis Catia durch eine SMS das Startzeichen bekomme. Sie vermute, daß der Entführer deswegen keine genaue Uhrzeit angegeben habe, weil er ganz bestimmte Windverhältnisse benötigte, um den Ballon in die gewünschte Richtung fliegen zu lassen. Noch herrschte Ostro, ein Südwind, der für die Jahreszeit so ungewöhnlich war, daß er sicher nicht lange Bestand haben würde.
»Und wie will er das Ding an der richtigen Stelle landen lassen?« fragte Donato.
Catia zuckte die Achseln. Ivan Garzone sagte: »Wahrscheinlich über den Brenner: Er wird genau mitteilen, wieviel Treibstoff eingefüllt werden soll, und dann kann er annähernd berechnen, wann der Ballon zu Boden sinkt.«
Angelo Sgreccia sagte: »Windstärke und Außentemperatur und was weiß ich noch alles sind aber zu berücksichtigen. Da muß sich einer gut auskennen, wenn das klappen soll.«
»Aber es ist machbar«, sagte Ivan.
»Für dich wäre das natürlich kein Problem«, sagte Angelo spöttisch.
»Was willst du damit sagen?« fragte Ivan.
»Nur, daß sich in Montesecco keiner so gut mit Windkraft auskennt wie du«, sagte Angelo.
»Sprich dich ruhig aus, du Feigling!« sagte Ivan.
»Und daß der Entführer ganz ähnliche Qualitäten wie du haben muß«, sagte Angelo.
»Weißt du, was du für mich bist?« fragte Ivan kalt. »Ein bemitleidenswürdiges Stück Dreck und sonst gar nichts.«
Ivan drehte sich um, eilte mit langen Schritten den Weg hinab, an einem leerstehenden Haus vorbei, den felsigen Abhang entlang, in dessen Spalten sich Agaven klammerten. Er ließ den Gedenkstein für Don Igino, der vielleicht den höchsten Baum Monteseccos gepflanzt hatte, rechts liegen und hörte noch, wie ihm Angelo Sgreccia mit sich überschlagender Stimme nachrief: »Und überhaupt, wer außer einem Spinner wie dir käme auf die hirnrissige Idee, sich zwei Millionen durch den Wind zutragen zu lassen?« Ivan spuckte aus, als er an der Sebastianskapelle die Piazzetta erreichte, und verschwand in der Tür seiner Bar.
5
Scirocco
Gegen den erbitterten Protest des alten Curzio, der dadurch das Andenken an Benito Sgreccia beleidigt sah, wurden die blauen Fahnen auf dem Pfarrhausdach abgenommen und die Stangen flachgelegt. Andernfalls sei der sichere Start des Heißluftballons nicht zu gewährleisten. Der Wetterbericht hatte Scirocco vorhergesagt. Wenn der Saharawind tatsächlich kam, sich über dem Mittelmeer vollsaugte, die Adria hochstürmte und hohe Wellen bis nach Venedig hineinpeitschte, würde es sowieso schwierig werden, den Ballon ohne Schaden für das Kirchendach steigen zu lassen. Doch einstweilen lag die Hülle noch ausgebreitet auf dem Flachdach, während
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