Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Drachen von Montesecco

Die Drachen von Montesecco

Titel: Die Drachen von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
Vom Netzwerk:
gerade so viel, daß der Adrenalinspiegel hochgehalten wurde, aber mehr noch der Stolz auf die eigene Entschlossenheit und, ja, eine verkniffene Wut auf den kleinen Jungen, der nicht mal mehr einen Tag oder zwei durchhalten wollte und den Entführer somit zwang, Gewalt anzuwenden, ihn irgendwo einzusperren, ihn mit Drohungen einzuschüchtern.
    Vannoni erschrak, wie leicht er sich in den Entführer hineinversetzen konnte. Und er erkannte, in welch großer Gefahr der Junge schwebte, wenn der Entführer ihm unterstellte, selbst an allem schuld zu sein, es ja nicht anders gewollt zu haben. Während Vannoni bisher nur sehr unbestimmt um Minh Angst gehabt hatte, wurde ihm jetzt klar, daß der Junge tatsächlich ermordet werden könnte. Vannoni mußte unbedingt …
    Ein lauter Knall brach in seine Gedanken. Ein schneller Blick zeigte Vannoni, daß nicht der Ballon zerplatzt war. Silbern und fremd schwebte er über dem Pfarrhausdach, völlig unberührt von dem Nachhall des Gewehrschusses, der irgendwo in den Gassen Monteseccos gefallen war. Einen Moment blieb alles still, als hielte die Welt den Atem an, dann schrie eine Männerstimme, die Vannoni nicht identifizieren konnte, irgend etwas, was Vannoni nicht verstand. Er hörte Angelo Sgreccia erregt antworten. Die Stimme kam aus westlicher Richtung, von irgendwo oberhalb der Piazza. Etwa von da, wo sein ehemaliges Haus stand, das er vor kurzem Catia überlassen hatte.
    Vannoni spürte sein Herz pochen, es übertönte das Stimmengewirr, das nun einsetzte und sich langsam zu nähern schien. Vannoni wollte ihm entgegenlaufen, doch seine Beine versagten ihm den Dienst. Er schwankte. Er setzte sich auf die Brüstung, die die Piazzetta begrenzte. Der Stein war kalt. Hinter der Mauer fiel der Hang ein paar Meter jäh ab. Steil genug, um sich den Hals zu brechen,wenn man hinunterstürzte. Vannoni starrte auf die silberne Kugel über dem Pfarrhaus. Er fragte sich, ob er in seinem Leben irgend etwas richtig gemacht hatte.
    »Los, vorwärts!« tönte Angelo Sgreccias Stimme hinter der Sebastianskapelle hervor, doch vor ihm stolperte Ivans Freund Michele ums Eck auf die Piazzetta. Der angebliche Ballonexperte reckte die Arme nach oben. Das Grinsen in seinem Gesicht wirkte festgefroren. In seinen Rücken bohrte sich der Lauf von Angelos Flinte.
    »Was soll das?« fragte Ivan vom Dach des Pfarrhauses herab.
    »Er fragt, was das soll!« Angelo kicherte. Hinter ihm erschienen Donato und dann Catia. Sie sah bleich und erschöpft aus, wie immer in den letzten Tagen, doch sie war völlig unverletzt. Matteo Vannoni stand auf. Nur weil irgendwo ein Schuß gefallen war, hatte er seine Tochter in Gedanken blutüberströmt auf dem Pflaster liegen sehen. Er wußte nicht, wieso er so sicher gewesen war. Als ob nur die schlimmstmögliche Wendung eintreten könnte. Natürlich war Vannoni froh, daß er sich geirrt hatte, doch er wagte nicht, sich der Erleichterung ganz zu überlassen. Nur langsam verblaßte der Schatten des Todes, und Vannoni fürchtete, ihm neue Nahrung zu geben, wenn er ihn provozierte.
    »Wir können doch wie vernünftige Menschen …«, sagte Michele.
    »Die Flossen bleiben oben!« brüllte Angelo. Seine rechte Hand krampfte sich um den Gewehrschaft. Der Zeigefinger zitterte vor dem Abzug.
    »Hör auf mit dem Quatsch!« sagte Ivan vom Dach herab.
    »Dein alter Freund, was?« Angelos Stimme triefte vor Häme. »Einer, mit dem man Pferde stehlen kann. Und nicht nur das.«
    »Du machst einen Fehler«, sagte Ivan.
    »Ich?« Angelo lachte. Es klang überreizt. So als spiele das Adrenalin verrückt, als rase sein Puls die ganze Zeit inirrwitzigem Tempo. Erst allmählich war er in der Lage zu berichten, was eigentlich passiert war. Dieser Michele sei ihm gleich verdächtig vorgekommen, und so habe er sich mit seinem Gewehr auf die Lauer gelegt. Zwei-, dreimal sei der Kerl um Catias Haus geschlichen und habe sich fast den Hals ausgerenkt, um durch die Fenster alles beobachten zu können.
    »Zuerst dachte ich, daß er sich die Örtlichkeiten einprägt, um bei einem nächtlichen Einbruch nicht gegen jeden Stuhl zu rumpeln, aber der Kerl war dreister, als ich mir vorstellen konnte. Er drückte sich vor Catias Haus herum, horchte, und plötzlich – so schnell konntest du kaum schauen – verschwand er in der Tür. Ich nichts wie raus aus meinem Versteck! Im Laufen spannte ich das Gewehr, drückte vorsichtig die Tür auf und schlich auf Zehenspitzen hinein. Im Wohnzimmer stand er, keinen Meter

Weitere Kostenlose Bücher