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Die Drachen von Montesecco

Die Drachen von Montesecco

Titel: Die Drachen von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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Gewehrlauf langsam über Micheles Backe hinaufwandern. Sanft strich das Metall über Schläfe und Stirn, glitt auf der anderen Gesichtsseite wieder hinab, erkundete kurz den Mundwinkel und nahm über das Kinn die Kreisbewegung erneut auf. Es war ein obszönes Streicheln. Als genieße der Tod die Sekunden, bevor er sein Opfer zerfleischte.
    »Du wolltest doch bloß …?« fragte Angelo, ohne die Bewegung des Gewehrs auszusetzen.
    Michele starrte ihn mit schreckgeweiteten Augen an. Fast unhörbar flüsterte er: »Das Handy.«
    »Lauter!« befahl Angelo.
    »Catias Handy«, brüllte Michele. »Ich wollte die Nummer wissen, von der aus der Entführer die SMS geschickt hat. Die Nummer, bei der Catia ein Lebenszeichen von ihrem Sohn eingefordert hat.«
    »Du Idiot!« sagte Ivan, doch Michele war nicht mehr zu bremsen. Wie sehr Ivan auf Verschwiegenheit bestanden, was immer er versprochen haben mochte, es war für Michele nicht genug, um dafür das eigene Leben zu riskieren. Er plapperte nun wie ein Wasserfall:
    »Ich heiße Michele Serra, bin Privatdetektiv, zugelassen und registriert in Rimini, und zwar seit fünfzehn Jahren, schauen Sie nur in meiner Innentasche, es ist alles da: Ausweis, Waffenschein, Führerschein, Codice fiscale, ja, ich zahle sogar Steuern, auch wenn meine Frau meint, daß ich da wohl der einzige … Jedenfalls, es ist alles in bester Ordnung, und wenn ich mal kurz die Hände herunternehmen dürfte, könnte ich es Ihnen beweisen. Ich mache hier nur meinen Job, Herr Garzone hat mich angerufen, und ich habe den Auftrag angenommen, weil sonst kein Geld hereinkommt und ich meinen verwöhnten Kindern ihre Invicta-Rucksäcke und was weiß ich für Designerklamotten zahlen muß. Woher hätte ich denn wissen sollen, daß hier in diesem Dorf lauter Verrückte … äh, ich meine, daß die Situation hier ziemlich kompliziert ist, und was das Handy angeht, so war es natürlich nicht ganz richtig, einfach indas Haus hineinzugehen, das gebe ich zu, aber ich habe ja nur ein paar Tasten gedrückt und das Ding sofort wieder auf den Tisch gelegt. Mehr war wirklich nicht, und wegen so etwas kann man doch keinen Menschen abknallen, oder?« Er starrte Angelo an und murmelte dann: »Ich würde jetzt gern eine Zigarette rauchen.«
    Donato fingerte aus Micheles Innentasche eine Brieftasche, klappte sie auf und zog ein paar Plastikkarten heraus. Nachdem er die Daten überprüft hatte, nickte er. Angelo schnaufte unwillig. Er sah sich um, als halte er Ausschau nach einem, den er ersatzweise umbringen könnte. Dann ließ er langsam das Gewehr sinken. Michele tastete nach seinen Zigaretten. Seine Finger zitterten.
    Catia beachtete ihn nicht mehr. Sie ging auf Ivan zu, blieb vor ihm stehen, musterte ein paar Sekunden lang sein Gesicht, holte mit der rechten Hand aus und schlug zu. Ivan fing ihre Hand rechtzeitig ab. Seine Finger krallten sich um ihr Handgelenk. Ruhig sagte er: »Einer mußte mal etwas tun. Du hättest uns die Handynummer des Entführers nie gegeben. Jetzt haben wir sie. Wir müssen nur herausfinden, auf wen sie zugelassen ist.«
    »Ich habe da meine Verbindungen«, sagte Michele. Er sog an seiner Marlboro.
    »Du willst meinen Sohn umbringen, Ivan!« zischte Catia. Sie wand ihre Hand aus seinem Griff.
    Ivan streckte die Hände nach vorn. »Das kannst du höchstens Angelo vorwerfen. Wenn er nicht in der Gegend herumgeballert und hier seine Wildwestshow abgezogen hätte, wäre alles nach Plan gelaufen. Niemand wüßte, daß ich dem Entführer auf der Spur bin.«
    »Ja, du machst tolle Pläne, und wenn etwas schiefgeht, sind immer die anderen schuld«, sagte Elena Sgreccia. Sie drückte den Lauf des Gewehrs, das ihr Mann gegen Ivan erhoben hatte, nach unten.
    »Keine Tricks, hat der Entführer gefordert, sonst …«, sagte Catia mühsam beherrscht.
    »Du meinst, die Welt müsse stehenbleiben, weil dein Sohn entführt worden ist«, sagte Ivan, »aber das tut sie nicht. Sie dreht sich weiter, mit rasender Geschwindigkeit. Ich habe es mal ausgerechnet. Ein Punkt auf unserem Breitengrad bewegt sich schneller als der Schall. Mit mehr als dreihundertdreißig Metern pro Sekunde. Es kann einem fast schwindlig werden bei der Vorstellung. Aber es hilft nichts, keiner wird den Lauf der Welt aufhalten, auch du nicht, Catia. Du kannst weder auf die Bremse treten noch aussteigen. Und wenn du schon gezwungen bist mitzufahren, dann solltest du dein Gesicht in den Wind drehen und dich breitbeinig hinstellen, damit du nicht das

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