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Die Drachen von Montesecco

Die Drachen von Montesecco

Titel: Die Drachen von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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fragte Marisa.
    »Versprochen?«
    »Du hast doch nicht wirklich etwas mit der Entführung zu tun?«
    »Versprich es mir! Bei allem, was dir heilig ist.«
    Zögernd willigte Marisa ein. Eine Viertelstunde später schob sie die Riegel zurück und stellte die Verschlußplatte zur Seite. Curzios Gelenke schmerzten höllisch, sein linkes Bein war eingeschlafen. Ohne die Hilfe seiner Tochter hätte er es kaum geschafft, aus dem Grab herauszuklettern. Mühsam richtete er sich auf. Er atmete tief durch, blinzelte. Die Sonne stand hinter Wolken, doch auch so war das Tageslicht für seine Augen zu grell. Curzio wischte ein paar abgefallene Blätter von der Sitzfläche seines Klappstuhls und setzte sich. Die Marmorplatte vor Benitos Grabnische war fest verschraubt.
    Curzio schloß die Augen wieder. Er überließ sich dem sanften Wind, der von der Hangseite her durchs Friedhofsgeviert spielte. Es schien ihm ganz einfach, die Poren zu öffnen, und er spürte, wie ihm der Luftzug neues Leben einhauchte. Ein pralles Leben, das viel zu schön war, um nur auf eine Sekunde davon zu verzichten.
    »Hörst du mir überhaupt zu?« fragte Marisa.
    »Was?« Curzio öffnete die Augen. Der Himmel war grau.
    »Wie, um Himmels willen, bist du da hineingeraten?« Marisa deutete auf die offene Grabnische.
    Curzio sah einem gelben Blatt zu, das langsam nach unten tanzte und sich auf dem Kies niederließ. Er hatte nicht die geringste Lust zu reden, doch er würde nicht umhin kommen, Marisas Fragen zu beantworten. So berichtete er, wie er sich vor den Dorfbewohnern im Grab versteckt und daß Angelo Sgreccia die Verschlußplatte verriegelt hatte, um ihn mitsamt der Wahrheit über den Mord an Benito Sgreccia für immer zu begraben.
    An Marisas ungläubigen Nachfragen erkannte er, daß sie höchstens an eine unglückliche Verkettung von Zufällen glaubte, und auch das nur, weil nicht ersichtlich war, wie er sich selbst hätte einsperren können. Sicher, Curzio konnte nicht beweisen, daß Angelo ihn in der Grabnische überhaupt entdeckt hatte, und er merkte selbst, wie wenig überzeugend seine Worte klangen, als er die ganze Dorfgemeinschaft der Verschwörung bezichtigte, doch im Grunde kam es darauf nicht an. Wichtig war, daß er lebte. Und daß er wußte, was er wußte.
    Ein wenig mehr Mitgefühl hätte er allerdings schon erwartet. Und ziemlich befremdlich erschien ihm, daß Marisa sich mehr für sein Handy interessierte als für die Frage, wer ihren Vater fast umgebracht hatte. Freilich läge er ohne das Handy immer noch im Grab, aber mußte seine Tochter deswegen gleich kontrollieren, welche Gespräche er geführt hatte? Stumm sah Curzio zu, wie Marisas Finger über die Tasten glitt.
    »Du hast alle SMS gelöscht?« fragte Marisa.
    »Welche SMS?« Curzio hatte keine Ahnung, wie man eine SMS öffnete, geschweige denn, wie man sie versandte oder löschte. Die Briefe, die er in seinem Leben geschrieben hatte, ließen sich an zwei Händen abzählen, aber sie waren ihm so wichtig gewesen, daß er dafür jeweils einen Entwurf angefertigt und diesen dann in seiner schwungvollsten Handschrift auf einen blütenweißen Bogen Papier übertragen hatte. So wollte er es weiterhin halten, auch wenn man heutzutage vorzog, mühsam einzelne Buchstaben einzutippen, als hätte man nie selbst schreiben gelernt. Jedenfalls hatte sich Curzio ein Mobiltelefon gekauft, um zu telefonieren. Ihm genügte es völlig, wenn er das jederzeit und an jedem Ort tun konnte.
    Marisa gab ihm das Handy zurück und fragte: »Du hast noch ein zweites, oder?«
    »Was soll ich denn mit zweien?«
    »Wo ist es?«
    »Ich habe mir ein neues gekauft, weil ich das alte verloren habe.« Curzio verstand nicht, worum es Marisa ging. Er betrachtete sein Handy. Die Tasten waren eigentlich viel zu klein für seine Finger.
    »Wo? Wann?« fragte Marisa. Sie ging vor Curzios Stuhl in die Hocke.
    Curzio zuckte die Achseln.
    »Schau mich an, Vater!« sagte Marisa. »Du mußt dich erinnern. Es ist wichtig.«
    Eigentlich verstand Curzio die ganze Welt nicht mehr. Was ihm auf den Nägeln brannte, interessierte niemanden sonst, und was die anderen elektrisierte, war ihm herzlich egal. Er sagte: »Es ist schon eine Weile her. Als wir das Dorf nach dem Jungen absuchten, hatte ich noch das alte Handy. Ich weiß genau, daß ich Pellegrini wegen seiner Spürhunde angerufen und es dann wieder in meine Jackentasche gesteckt habe. Am Abend war es verschwunden. Ich habe überall vergeblich gesucht und mir zwei Tage

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