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Die Drachen von Montesecco

Die Drachen von Montesecco

Titel: Die Drachen von Montesecco Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
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noch, daß es ein schwarzes Auto war. Im Kofferraum lag ein schwerer Wagenheber, der mir in die Seite drückte. Irgendwann ließ mich der schwarze Mann heraus und schubste mich in ein verlassenes Haus. Ein Stück vom Dach war abgebrochen, so daß Licht hereinfiel, denn die Fenster waren zugenagelt. Vor die Tür legte der schwarze Mann eine Eisenkette. Einmal kam er noch und brachte mir Essen und Decken und Bastelmaterial. Er sagte, er sei immer in der Nähe, und wenn ich schreien würde, würde er mich sofort töten. Sonst vielleicht erst später. Viele Tage und Nächte war ich in dem Haus eingesperrt und hatte wahnsinnige Angst, daß der schwarze Mann zurückkommen und mich umbringen könnte. Nach Hause zurück wollte ich trotzdem nicht. Das wäre auch gar nicht gegangen, denn ich habe gar kein Zuhause. Und niemanden, der mich vermißt. Ich habe auch niemanden vermißt. Nur daß ich nicht hinauskonnte, um meine Drachen steigen zu lassen.«
    Ich nickte zögernd. Der Junge hatte seine Geschichte intus, und er erzählte sie von sich aus. Das klang alles wunderbar, aber ich wußte einfach nicht, ob ich ihm trauen konnte.
    Zumindest entlang der Autobahnen war Italien häßlich geworden. Wo früher Felder gewesen waren, fuhr man jetzt kilometerlang an Fabrik-, Lager-und sonstigen Hallen vorbei. Nicht wenige von ihnen standen leer und wirkten so trostlos, wie es nur Gebäude können, die vor Jahren voreilig hochgezogen worden waren und seitdem sinnlos vergammelten. Andere glänzten in Marmorweiß oder Aluminium. Sie prunkten mit hypermodernem Architekturschnickschnack, vor dem sich die sorgsam gepflegten Rasenflächen und die sichtlich neu und immer in Reihen gepflanzten Bäume künstlich ausnahmen. Wieder andere, zum Beispiel um Faenza herum, wollten durch grellbunten Anstrich vom stinkenden Rauch ablenken, den sie durch ihre Schornsteine ausstießen. Allen gemeinsam war, daß hinter den Maschendrahtzäunen nirgends Menschen zu sehen waren.
    Vielleicht, weil sich alle auf den Autobahnen befanden. In den Blechlawinen, die sich von Ancona nach Mailand, von Mailand zurück nach Bologna und von dort über Florenz nach Rom wälzten. Dort, auf dem Autobahnring weit außerhalb der sieben Hügel, steckte Forattinis Mercedes im Stau. Der Fahrer nahm es gelassen. Wie auf der gesamten Fahrt saß er schweigend hinter dem Lenkrad und regte sich nicht einmal auf, als ein paar dieser neumodischen Geländewagen rechts auf dem Standstreifen vorbeischossen.
    »Die sollte man anzeigen«, sagte Gianmaria Curzio und lehnte sich ins Lederpolster zurück.
    »Unbedingt!« sagte Benito Sgreccia.
    Curzio war froh, daß sein Freund ihn begleitete. Zwar hielt sich Benito zurück, wenn andere dabei waren, aber das war immer schon seine Art gewesen. Es störte ihn nicht, daß man ihn leicht übersah. Wahrscheinlich hatte ihn nicht einmal der Fahrer wahrgenommen, obwohl Benito doch seit Stunden direkt hinter ihm saß. Als sie am Morgen in Mailand losfahren wollten und der Fahrer fragte, wohin die Reise gehen sollte, hustete es plötzlich neben Curzio in einer ganz vertrauten Weise, und als er hinsah, lehnte Benitos krumme Gestalt neben ihm auf dem Rücksitz des Mercedes. Curzio hatte die Augen zugekniffen und wieder geöffnet, aber Benito war immer noch dagewesen, und so war es die ganze Fahrt über geblieben.
    Das Essen mit Forattini am Abend zuvor hatte Curzio als ein wenig großspurig empfunden. Ein halbes Dutzend unterschiedlicher Weingläser stand um ihn herum, und die Vorspeisen wurden fertig angerichtet auf silbernen Löffelchen gereicht, die man sich wahrscheinlich nur deshalb selbst in den Mund stecken mußte, damit man sich nicht völlig für ein Kleinkind hielt. Um Eindruck zu schinden, scheuchte Forattini eine Weile die Kellner herum, doch bald merkte Curzio, daß der Broker nur herausfinden wollte, wie man Bauernregeln auszulegen habe, um an der Börse reich zu werden. Curzio konnte ihm bloß bedingt weiterhelfen, das war eben Instinkt und vielleicht die in achtzig Jahren Dorfleben erworbene Erfahrung, daß alles – Werden, Wachsen, Reifen, Vergehen – seine Zeit hatte. Forattini starrte ihn an, als hätte er Konfuzius höchstpersönlich vor sich, fing sich aber schnell und klagte wortreich über die unübersichtliche Börsensituation. Schließlich ließ sich Curzio doch zu einem konkreten Tip bewegen.
    »Tauben, Gärten und Teich machen keinen reich«, sagte er, als ihn Forattini nach seiner Meinung über die mittelfristige Perspektive

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