Die Drachen von Montesecco
eigenen Vater umgebracht habe, aber er brauche noch mehr Beweise. Er begann darzulegen, welche Verdachtsmomente er gesammelt und was er daraus gefolgert hatte.
Franco hörte anfangs mit offenem Mund zu, wurde zusehends unruhiger und unterbrach Curzio schließlich. »Um Gottes willen, Gianmaria! Und kein Mensch kümmert sich um dich?«
»Kümmern? Die sollen nur aufhören, mich umbringen zu wollen!«
»Kein Mensch will dir etwas tun. Genausowenig, wie jemand Benito ermordet hat. Schon gleich gar nicht Angelo.«
»Wieso nicht Angelo?« Curzio wurde hellhörig. Franco wußte irgend etwas.
»Weil …«
Brüsk wurde Franco von Wilma unterbrochen: »Ich würde jetzt gern gehen, tesorino. Begleitest du mich?«
»Weil …?« fragte Curzio.
»Ich habe genug von dem Unsinn.« Wilma warf den Kopf zurück, daß die roten Locken flogen. Sie lächelte Francoan und schenkte ihm einen Silberblick, der versprach, daß mehr zwischen Himmel und Erde möglich war, als sich Franco träumen lassen konnte.
»Hattest du nicht noch einen Termin?« fragte Franco.
»Nichts ist mir so wichtig wie du, tesorino!« Wilma strahlte wie Sonne und Mond gleichzeitig.
»Ich liebe dich auch!« stammelte Franco. Er grinste belämmert, machte aber keine Anstalten aufzustehen. Er wußte etwas, und er schwankte, ob er es sagen sollte, auch wenn ihn Wilma offensichtlich daran hindern wollte. Warum eigentlich? War sie etwa in den Mord an Benito verwickelt? Curzio fiel plötzlich wieder ein, wieso er nach Rom gekommen war und wozu er Wilma befragen wollte. Aufs Geratewohl sagte er: »Es geht um Benitos Testament, nicht?«
»Es täte mir wirklich leid, wenn das zwischen uns hier enden würde, Franco«, sagte Wilma. Ihre langen Finger spielten mit dem obersten Knopf ihrer Bluse.
Franco sagte nichts. Er dachte vielleicht an die unvergeßlichen Nächte, die er mit ihr verbracht hatte. Oder womöglich an die Tausender, die er ihr hingeblättert hatte. Oder daran, daß sie ihn noch in derselben Minute, in der er gestand, nicht länger zahlen zu können, vor die Tür setzen würde. Oder vielleicht dachte er daran, daß er sich in einer lauten, stinkenden Großstadt befand, die von verrückten Autofahrern bevölkert war. Und daß ihn mehr als das Abenteuer selbst reizte, damit auf der Piazzetta in Montesecco prahlen zu können. Irgendwann einmal, wenn dort alles wieder in Ordnung war. Falls das je geschehen würde.
»Ich glaube, ich habe einen Fehler gemacht«, nuschelte Franco, »aber ich werde ihn wieder ausbügeln.«
Wilma schüttelte die Locken und lachte spitz. »Das ist nicht dein Ernst, oder?«
»Ich werde alles auf Heller und Pfennig zurückzahlen«, sagte Franco.
»Männer!« stieß Wilma verächtlich hervor. »Ich hätte es wissen müssen. Wenn es nur so aussieht, als könne es vielleicht Ernst werden, ziehen sie den Schwanz ein.«
»Wilma«, sagte Franco, »die Zeit mit dir war die schönste, die ich je …«
Wilma schob den Teller von sich und sagte: »Ich gehe davon aus, daß ich hier eingeladen war. Den Kaffee nehme ich anderswo.«
Dann stand sie auf und ging. Franco sah ihr nach. An seinem Gesichtsausdruck erkannte Curzio, daß für ihn alles ganz anders war. Wilma war nicht aufgestanden, sondern hatte sich erhoben. Sie ging auch nicht, sondern sie schwebte zur Tür. Der enge Gang zwischen den Trattoriatischen verwandelte sich in einen Laufsteg, und über den Steinfliesen spannte sich ein roter Teppich. Im ganzen Lokal wurde es plötzlich still, weil alle den Atem anhielten, und manch einer kniff vorsorglich die Augen zusammen, zum Schutz gegen das Blitzlichtgewitter, das unweigerlich jeden Moment losbrechen mußte, um dieser Göttin der Schönheit den ihr gebührenden Heiligenschein zu verleihen. Der Kellner stellte seine Teller auf dem nächstbesten Tisch ab und eilte zur Garderobe, um ihr nach einer steifen Verbeugung in den Mantel zu helfen. Sie ließ es geschehen, ohne ihn dabei wahrzunehmen. Jeder begriff, daß das so sein mußte, denn sie gehörte einer anderen Welt an. Nicht einmal der junge Wichtigtuer mit dem Adriano-Celentano-Gesicht wagte es, ihr nachzupfeifen, und selbst die Blicke prallten an ihr ab, bis sie an der Fensterfront vorbeigeschwebt und in der römischen Nacht verschwunden war.
»Diese Frau …!« Franco seufzte.
Curzio nickte.
»Sie ist einfach perfekt«, sagte Franco dumpf.
»Ich bin sicher, sie liebt dich.«
»Glaubst du?«
»Hätte sie sonst so harsch reagiert?«
Franco überlegte. Er schien zu dem
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