Die Drachen von Montesecco
fassungslos. Er blieb unbegreiflich, war ein schwarzes Nichts und gleichzeitig eine furchterregende Macht, die auslöschte, was immer man zu wissen glaubte.
»Alles geht kaputt«, murmelte Curzio. Um ihn herum aßen und lachten die anderen Gäste, als würden sie ewigleben. Sie merkten nicht, daß das Licht ein wenig dunkler geworden war und daß die Ratten sich unter den Boden der Trattoria gewühlt hatten. Daß die Tünche an den Wänden kaum mehr den Schimmel überdeckte, daß die Dachbalken zerfressen waren und der Kellner hustete, als leide er an Tbc. Nur Franco schien etwas davon zu ahnen. Still hing er seinen Gedanken nach und nickte nur kurz, als Curzio vorschlug, nach Montesecco zurückzufahren. Sie zahlten und gingen nach draußen. Vor dem Wind, der kühl und feucht vom Tiber heraufzog, bargen sie sich unter dem Steinbogen an der Einfahrt. Als Forattinis Fahrer eintraf, bat Franco darum, vor der Heimreise eine Rundfahrt durch Rom zu machen. Sie beide würden ziemlich sicher nie mehr hierherkommen.
Und so wurden sie in einem schwarzen Mercedes durchs nächtliche Rom kutschiert. Der Fahrer wählte eine Route, die sie zu Vatikan und Engelsburg, dann über den Tiber zu Forum und Kolosseum führte. Curzio wußte nicht, wie es Franco ging. An ihm selbst glitten die Paläste und Ruinen seltsam fremd vorbei. Vielleicht lag es am fast geräuschlosen Lauf des Mercedes oder am Blick durch die leicht getönten Fensterscheiben, daß er das Gefühl hatte, durch eine Unterwasserlandschaft zu schweben, in der die Reste einer versunkenen Stadt sich von Felsformationen und Korallenriffen kaum unterschieden, ja vielleicht sogar im Lauf der Jahrhunderte zu solchen geworden waren. Die Straßenlaternen, Beleuchtungen, Autoscheinwerfer konnten daran nichts ändern. Ihr Licht diente nur dazu, die Schattenbereiche hervorzuheben, in denen sich die Unterwasserwelt verlor. Wer wußte schon, welche Ungeheuer dort lauerten?
Einzelheiten, die sich zu Erinnerungen verfestigen konnten, nahm Curzio erst wahr, als sie das historische Zentrum verließen und durch wenig belebte Vororte fuhren. Ein kleiner Mischlingshund, dessen Fell den gleichen Braunton aufwies wie der Mantel seines Besitzers, hob dasBein an einem Laternenpfahl. Der Blinker eines alten Fiat zwinkerte seinem Spiegelbild in einer Schaufensterscheibe zu. Eine Pradatüte stand traurig vor einem überbordenden Müllcontainer. Die Alleebäume längs einer Straße waren eingegittert, damit sie nicht weglaufen konnten. An eines der Gitter war der Rahmen eines Fahrrads gekettet, dessen Vorderrad, Lenker und Sattel fehlten.
Das also ist Rom, dachte Curzio, als sie längst auf der Superstrada in Richtung Montesecco unterwegs waren.
7
Tramontana
Michele hätte wirklich nicht in Montesecco leben wollen, doch er mußte zugeben, daß so ein Kaff unter beruflichen Gesichtspunkten auch seine Vorzüge hatte. Hier waren eben nicht nur die Vorstellungen der Einwohner beschränkt, sondern auch die Möglichkeiten, ins Dorf zu gelangen beziehungsweise aus ihm zu verschwinden. Genauer gesagt, kamen für jemanden, der mit dem Auto unterwegs war, nur zwei Wege in Betracht, wobei die Straße, die durchs alte Tor steil hinabführte, vernachlässigt werden konnte. Zu verwinkelt waren die Passagen, die man von der Piazza oder einer der wenigen anderen zum Parken geeigneten Stellen bewältigen mußte. Wenn es jemandem darum ging, kein Aufsehen zu erregen, würde er bestimmt nicht durch die engen Gassen rangieren, sondern sich für die Hauptzufahrt entscheiden.
Diese fiel sanfter ab, beschrieb beim Holzkreuz eine Spitzkehre und mündete nahe einer Biegung in die Straße, die rechts über die Hügel nach Pergola und links hinunter ins Cesano-Tal führte. In welche Richtung man auch wollte, dort mußte man anhalten. Und zwar lange genug, daß Michele trotz der Dunkelheit erkennen konnte, ob eine der drei Zielpersonen, die bei seiner Rasterfahndung übriggeblieben waren, am Steuer saß. Michele hatte sich mit schwarzer Wollmütze, Handschuhen und einer wattierten Jacke ausgestattet. Er hockte schräg gegenüber der Einmündung im Gebüsch und zählte die Zigarettenkippen zu seinen Füßen. Es waren fünf. Michele zündete sich noch eine an. Sein Wagen stand in der Einfahrt zum Ferienhaus irgendwelcher reicher Florentiner, nur ein paarMeter unterhalb, doch von der Straße aus nicht einsehbar. Der Zündschlüssel steckte.
Ein Nachteil von Micheles Beruf bestand darin, daß man dauernd irgendwo warten
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