Die Drachenjägerin 1 - Winter, M: Drachenjägerin 1
streckte die Hand nach ihr aus. Die Seidenhandschuhe waren blutgetränkt, als er sie zurückzog. In seinen schwarz umrandeten Augen lag seine ganze Angst – um sie, um sich?
» Das ist nicht mein Blut«, sagte sie leise. » Ich lebe. Versprich mir, dass du auch lebst.«
Der Narr hörte sie nicht mehr. Er schloss die Augen und starb – er starb, jetzt!
» Nein! Nein, das lasse ich nicht zu!«
Linn streckte ihre Hand aus und legte sie auf die Wunde an seinem Hals. Ihre glitzernden Hände, auf denen der Drachenstaub haften geblieben war.
» Wintika«, murmelte sie, eindringlich wie ein Gebet, und so war es auch: In ihrem Herzen rief sie ihren Gott an, Arajas, den Gütigen.
» Ich heile«, sagte sie leise. » Wintika.«
Unter ihren tastenden Fingerspitzen fühlte sie, wie die Wunde sich schloss.
Auf einmal wurde ihr bewusst, wie still es war. Der Drache lag da, die Flügel von sich gestreckt, die kreisenden Augen gebrochen. Der Prinz stand ratlos in einiger Entfernung.
» Was ist hier passiert?«
Aus dem Schneegestöber tauchte die Drachengarde auf. » Wir haben Kampflärm gehört und … Prinz Arian! Seid Ihr verletzt?«
Okanion ritt auf den Prinzen zu. » Was um alles in der Welt …?«
Arian antwortete immer noch nicht. Er stand bloß da, mit hängenden Armen, und starrte auf den toten Drachen.
Linn küsste Jikesch auf die Stirn und ließ ihn in den Schnee gleiten. » Du wirst wieder gesund.«
Sie mochte ihn nicht loslassen, aber es gab noch einiges zu tun. Mit wackeligen Beinen stand sie auf und ging zu Nat Kyah hinüber. Okanion erschrak, als er sie erblickte.
» Linnia! Ihr seid über und über mit Blut bedeckt!« Doch dann fügte er leiser hinzu: » Das ist der Drache aus Gota. Sagtet Ihr nicht, er sei bereits tot?«
Es ist ein anderer, wollte sie schon erwidern. Der ihm gleicht, eine ganz ähnliche Farbe. Vielleicht hätten die Ritter ihr das sogar geglaubt.
Aber an ihrem Schwert prangte die Bernsteinschuppe. Die an Nat Kyahs Leib fehlte.
Sie konnte nicht lügen – und ihnen auch nicht die Wahrheit sagen. Zuzugeben, dass sie einem Drachen gedient hatte, hätte ihr Ende bedeutet, das wusste sie. Niemals würde irgendjemand Verständnis dafür aufbringen, dass sie sich auf das Hohe Spiel mit einem dieser Untiere eingelassen hatte.
» Ich dachte, er wäre tot«, sagte sie leise. » Ich hatte ihn getroffen, mitten ins Herz. Er lag da und hat sich nicht gerührt, als ich ihm die Schuppe herausgerissen habe.« Eine elegante Lüge. Als läge nicht schon genug Bitterkeit in ihrem Sieg.
» Dann muss er zwei Herzen haben«, rief Okanion.
» Er ist hergekommen, um sich zu rächen, nehme ich an«, sagte sie. » Wir haben versucht, ihn mit Gold von der Stadt wegzulocken und hier zu stellen«, fügte sie mit einem Seitenblick auf den Prinzen hinzu.
» Ach so«, meinte Arian müde.
Sie beachtete ihn nicht länger. Einen Augenblick wollte sie mit dem Drachen allein sein. Der mächtige Leib hatte aufgehört zu strahlen. Das Schwert steckte ihm noch in der Brust. Mit einem Ruck zog sie es heraus.
» Siehst du, Nat Kyah«, sagte sie. » Du hättest mich freigeben sollen. Du hättest mich nicht an meine Feinde verraten dürfen. Du hast die Regeln des Hohen Spiels gebrochen; das hast du nun davon.«
Sie konnte nicht das geringste Bedauern empfinden. Nur als sie an die gefangenen Mädchen dachte, fragte sie sich, ob die anderen es wohl wagen würden, die Burg zu verlassen und sich auf den Weg über die Steppe zu machen, auf der Suche nach Menschen, oder ob sie sich in ihr Schicksal ergaben und elend zugrunde gingen.
Die Ritter wichen unwillkürlich zurück, als die Drachentöterin auf sie zukam, das blutige Schwert in der Hand.
» Nun«, fragte Linn, » wollt Ihr mich immer noch verhaften lassen, Prinz Arian?«
Der Kranke starrte sie eine Weile an, dann wurde er grün im Gesicht und stolperte davon, um seinen verdorbenen Magen erneut zu entleeren.
Jikesch kicherte. Er versuchte schon wieder aufzustehen, was ihm noch nicht gelang, aber sein Mundwerk war offensichtlich unbeschädigt. » Der ist heute übel drauf. Oh liebste Linn, ich fürchte, unser letztes Stündlein hat geschlagen. Dem einen Drachen entkommen, um im Magen eines Prinzleins zu enden.«
» Ich muss nach Hause«, stöhnte Arian, der nicht mehr ganz so grün zurückkam.
» Vorher«, sagte Okanion, » gibt es, wie mir scheint, noch ein paar Dinge zu klären. Schließlich hat Fräulein Linnia eine großartige Tat vollbracht, nicht irgendwo
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