Die Drachenjägerin 3 - Winter, M: Drachenjägerin 3
beschäftigt, und nun ist Nival verschwunden!«
» Na und? Vielleicht muss er mal. Reg dich nicht immer gleich so auf, er ist nicht dein Hund, der angerannt kommen muss, wenn du ihn rufst.«
» Nein, natürlich nicht.« Trotzdem spürte sie eine wachsende Unruhe. Stumm, wie er war, konnte Nival nicht erklären, was er vorhatte, aber ihm stand eine sehr lebhafte Zeichensprache zur Verfügung. Wenn er wollte, konnte er sich durchaus verständlich machen. Linns Unbehagen wuchs. Hatte sie ihn vertrieben, weil sie ihn so lange angestarrt hatte?
» Riecht gut«, bemerkte der Drache. » Du solltest jetzt essen.«
» Er ist immer noch nicht zurück. Was, wenn er in irgendeine Felsspalte gestürzt ist?«
» Dann hätten wir einen Schrei gehört, oder? Dein Freund ist kein Kleinkind, das sich von Wölfen aus dem Gebüsch zerren lässt. Er ist dir überdies keine Rechenschaft schuldig.«
Linn sah das anders; wenn man gemeinsam unterwegs war, hatte man seinen Reisegefährten mitzuteilen, was man plante, damit diese nicht ihre Zeit mit unnötigem Warten oder Suchen verbringen mussten. Wer zusammen wanderte, achtete auf den anderen und erklärte auch seine eigenen Vorhaben, und wenn man fortging, verabschiedete man sich.
» Ich wünschte, ich hätte meine Kette noch«, murmelte sie. » Dann könnte er sie tragen, und du könntest verfolgen, wo er ist und was er tut.«
» Ich würde nicht hinsehen«, meinte der Drache grimmig. » Was interessiert mich Nival. Außerdem, da liegt er doch, siehst du? Du machst dir immer viel zu schnell Sorgen.«
In der Dunkelheit war die in die Decke gehüllte Gestalt kaum auszumachen. Erleichterung durchströmte sie, die sofort von Ärger abgelöst wurde.
» Es ist zu kalt dahinten. Er muss in der Nähe des Feuers bleiben!«
» Wenn er lieber frieren möchte, als bei uns zu sein, ist das seine Sache, oder?«
Es versetzte Linn einen Stich, dass Nival sich eingeigelt hatte, ähnlich wie zu Beginn ihrer Reise, als er noch so krank gewesen war. Natürlich, er war empfindlich, aber wenn er sich durch das stumme Eingeständnis ihrer Gefühle derart bedrängt fühlte – was durfte sie dann überhaupt noch tun und sagen? Wie sollte sie ihr Herz dazu bringen, nichts zu empfinden? Ebenso wenig konnte man beschließen, das Atmen zu lassen.
Schlagartig hatte sie keinen Hunger mehr. » Du kannst das Kaninchen haben, wenn du magst. Oder essen Drachen nur rohes Fleisch?«
Vor dem riesigen Maul des Ungeheuers wirkte das knusprig gebratene Kaninchen winzig, kaum mehr als ein Happen.
» Drachen schon«, sagte Gah Ran leise. Er ließ seine Zunge vorschnellen und leckte vorsichtig an der fettigen Haut. » Es ist lange her … Fast hätte ich es vergessen. Die langen Speisetafeln … Berge von Früchten und Beeren. Die köstlichsten Schneelandbeeren von Berat, klein und dunkelrot. Sie wachsen so hoch, dass kein Mensch sie ernten kann. Sion hat sie manchmal gesammelt, wenn sie oben auf dem Gipfel war. Sie sollte auf Visionen warten und hat stattdessen den Schnee weggekratzt und ihren Korb gefüllt …« Sehnsucht vibrierte in seiner Stimme. » Sion Ran VeaCorik ging nicht den Weg, der für sie vorgesehen war, sie wollte keine Priesterin sein. Es war für sie undenkbar, dem ValaNaik zu sagen, was er tun sollte, und deshalb nahm sie es in Kauf, dass man diese Ehre einer anderen übertrug. So wurde Raja die Auserwählte. Ach, Sion. Widerspenstig wie keine zweite … ob du dich erinnerst?«
Sprach er von Drachen? Linn versuchte sich vorzustellen, wie ein Drache Beeren pflückte und in einen Korb füllte. Das war, wenn man die Größe von Drachentatzen berücksichtigte, schlichtweg unmöglich.
» Sion war ein Mensch, oder? Ein Mädchen, das du früher kanntest?«
Er hörte nicht zu, sondern schwelgte in Erinnerungen. » Wein aus Samaja, von den Weinbergen am Großen Fluss … Das Beste für den König, aber Dairan wusste einen guten Tropfen gar nicht zu schätzen. Er war immer viel zu ungeduldig, um etwas richtig zu genießen. Mit einem Schluck? Dabei muss man diese Köstlichkeiten auf der Zunge prickeln lassen, bis man die Sonne von Samaja schmecken kann … Nur jemand wie Dairan ließ sich volllaufen und stieg dann hoch in die Wolken wie ein Schlachtschiff in einem Orkan. Er konnte es sich leisten, sich danebenzubenehmen, und nie hat irgendjemand das so ausgenutzt wie er.«
Er zermalmte den Braten samt Knochen zwischen den Zähnen.
Linn überließ ihn seinen Erinnerungen und schlich in die Dunkelheit
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