Die Drachenjägerin 3 - Winter, M: Drachenjägerin 3
davon.
Bald stieß sie auf die Bergstraße, die ihr am Tag aufgefallen war. Ein unförmiger silberner Mond hing über ihr und beleuchtete den Weg hinunter ins Tal.
Das Dorf schmiegte sich unter einem überhängenden Felsen an den Hang, es waren nur wenige Häuser, die sich kaum vom steinigen Untergrund abhoben. Die Luft war von bitterem Rauch erfüllt.
Noch waren nicht alle schlafen gegangen; Licht leuchtete aus den Fenstern und verbreitete eine heimelige Atmosphäre. Es war so kalt, dass Linn ihre Zehen kaum noch spürte. Mit klappernden Zähnen wankte sie auf das kleine Bergdorf zu. Bisher war sie den Gerinern immer ausgewichen, denn von den bewaffneten Patrouillen im Grenzgebiet hatte sie den Eindruck gewonnen, dass es ein grimmiges Volk war, mit dem nicht gut Kirschen essen war, ganz anders als die leutseligen Yaner, für die jeder, der ihrem Gesang zuhörte, schon ein Freund war.
Doch von Grenzhütern ließ sich wohl nicht auf die gewöhnlichen Leute schließen. Lärm und Gelächter drangen aus der größten Hütte, einem niedrigen, langgestreckten Gebäude. Vielleicht fand dort eine Dorfversammlung oder sogar eine Feier statt? Die Drachenjägerin pirschte sich näher heran. Sie wollte keinem Nachzügler in die Arme laufen. Fröhliche Menschen konnten genauso schnell über Fremde herfallen wie übellaunige, außerdem beherrschte Linn nicht einmal ihre Sprache. Sie sollte die Gelegenheit nutzen, eine der unbeleuchteten Hütten aufzusuchen und sich dort nach warmer Kleidung und Nahrungsmitteln umzusehen. Doch die Neugier siegte. Sie musste wenigstens einen flüchtigen Blick auf diese Leute werfen.
Durch die beschlagenen Fenster war nichts zu erkennen. Sie hauchte auf die dicke Kristallscheibe – so starkes Glas war in Schenn ein Vermögen wert – und rieb eine kleine Stelle blank.
Gasthäuser waren überall gleich, in aller Herren Länder. Die Geriner waren in Pelze gekleidet, die ihnen jedoch größtenteils von den Schultern rutschten. Ihre Gesichter waren gerötet. Männer und Frauen tanzten am Feuer vorbei, weiter hinten krümmten sich einige über den dunklen Tischen – vor Lachen. Oder hatten sie einem Getränk zugesprochen, das sie nicht vertrugen?
Linn sehnte sich so sehr danach, im Warmen zu sitzen, dass sie für einen Moment vergaß, warum sie hier war. Bis ihr jemand auf die Schulter tippte.
Hinter ihr standen zwei Geriner. Ihre spitzen Kinnbärte verliehen ihnen ein jugendliches Aussehen, aber sie lächelten nicht, sondern starrten die junge Frau nicht minder grimmig an als die misstrauischste Grenzwache.
Der eine stellte ihr in seiner melodischen Sprache eine Frage. Linn hob die Schultern und zeigte ihre offenen Handflächen; ihr Schwert hatte sie am Lagerplatz gelassen, um beim Stehlen nicht behindert zu werden. Die Männer schienen zum Glück unbewaffnet, notfalls würde sie mit ihnen fertig werden. Die zwei berieten sich miteinander, dann fasste der eine Linn am Ellbogen und führte sie in Richtung Tür. Sie wollte ihn abschütteln, aber sein Griff war fest, und eine Schlägerei zu riskieren, bevor sie die Absichten dieser Leute kannte, war unklug. Also ließ sie sich in die Gaststube geleiten.
Hitze. Fremdartige Gerüche. Gesichter, die sich ihr neugierig zuwandten und dann doch wieder das Interesse verloren, denn vor ihnen zog ein Mann aus dem Volk der Gaukler die Aufmerksamkeit sämtlicher Anwesenden auf sich.
Linn blinzelte. Konnte das Nival sein, den sie doch oben am Lagerplatz glaubte, schmollend in seine Decke eingewickelt?
Er sah aus wie ein Fremder, unzweifelhaft wie einer vom Volk der Spielleute, die überall und nirgends zu Hause waren. Auf dem blonden Haar trug er eine Kappe, die eigentlich nur aus einem verknoteten Tuch bestand. Seine bäuerliche Tracht war kaum wiederzuerkennen, mit unzähligen kleinen Knochen und Kaninchenschädeln, Fellstücken, Federn und Steinchen verziert. Hatte er die Überreste ihrer Mahlzeiten stets aufbewahrt und gesammelt, ohne dass sie es mitbekommen hatte? Den Bart hatte er zu lächerlich kurzen Zöpfen geflochten, die Augen mit Asche geschwärzt. Es war unglaublich, wie er sich mit diesen einfachen Mitteln aus einem Wanderer in eine grelle, groteske Figur verwandelt hatte. Übermütig spielte er auf einem bauchigen Saiteninstrument, legte es beiseite und wirbelte ein weißblondes Mädchen im Kreis herum, dann sprang er auf einen Tisch und erschreckte die Trinker. Als er Linn an der Tür entdeckte, schwirrte er durch die Menge der Tänzer auf
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